Tränen reinigen das Herz.
– Fjodor Michailowitsch Dostojewskij –
Spiritualität ist toll. Bist du erst einmal spirituell, so wirst du nie mehr traurig sein.
Affirmationen sind toll. Hast du erst einmal gelernt, wie du deine Wünsche richtig formulierst, so wirst du nie wieder traurig sein.
Positiv Denken ist toll. Erreichst du ein Level in deinem Leben, in dem du noch nur positiv denkst, dann wirst du nie mehr traurig sein.
Alles ganz einfach, oder? Sorry, aber das ist BULLSHIT
Das Leben ist kein Ponyhof
Es geht dir schlecht und die Welt steht Kopf. Dein Herz weint, deine Seele schreit und der Schmerz zerreisst dir deine Brust.
„Eigentlich geht es dir doch gut.“
„Jetzt lass dich nicht so gehen.“
„Sieh das Positive.“
Nein! Ich möchte aber nicht! Ich leide und ich werde jetzt nicht einfach so damit aufhören: Positives Denken hin oder her. Ich werde jetzt leiden. Jawohl.
„Öhm sag mal: Hast du nicht einen Blog für eine positive Lebenseinstellung?“
Ja, genau so einen Blog habe ich. Also unter anderem …
„Und warum plädierst du dann dafür zu leiden?“
Ich plädiere nicht dafür zu leiden, jedenfalls nicht direkt. Ich sage nur, dass deine Welt völlig in Ordnung ist, wenn Leid in ihr vorkommt. Ich zwinkere dir zu und sage: „Schmerz ist okay, Tränen sind okay, Trauer ist okay.„
Wir sind doch alle nur Menschen und wirklich: Das Leben ist kein rosaroter Ponyhof mit glitzernden Einhörnern!
Ein düsterer Schatten folgte mir
Ich bin nicht mit einem regenbogenfarbenen Heiligenschein über dem Kopf geboren.
Meine Kindheit war größtenteils wirklich nicht lustig. Ich habe früh den Schmerz getroffen und mitunter hat er mich lange auf meinem Weg begleitet. Ich lernte auch früh dem Tod in die Augen zu blicken, als wenige Meter von mir entfernt meine beste Freundin von einem Motorrad erfasst und zu Tode geschleift wurde.
Viele Momente meiner Kindheit, Jugend und auch dem frühen Erwachsenenalter waren vom Leid geprägt.
Den Weltschmerz erfasst viele Heranwachsende, aber es war immer ein wenig mehr, als nur das.
Es hat mir niemand beigebracht mit Leid, Tod und Schmerz umzugehen. Ich tat lange Zeit das naheliegendste, ich versank in Melancholie, Selbstmitleid und musste so manches Mal acht geben, nicht einer Depression zu verfallen.
Es gab Tage, an denen ich diese Welt hasste und ihr nichts Schönes mehr abgewinnen konnte. Ich wickelte mich ganz fest ein in diese schwermütigen Gedanken und ließ nicht zu, dass auch nur ein einziger Sonnenstrahl der Freude meinen Körper erfasste.
Ich hatte wunderbar gelernt zu leiden.
Viele Jahre war niemand da, der mir das Gegenteil zeigte und mich lehrte zu lieben, zu vertrauen und zu hoffen.
Mit der Zeit fielen mir etliche Bücher in die Hand, in denen erklärt wurde, wie man positiv denkt und lebt. Sie lösten bei mir eher ein schiefes Lächeln, als einen Aha Effekt aus. Ich ahnte etwas von der positiven Welt, aber ich konnte nicht an sie glauben. Ich war noch immer fest in meine Kummerdecke eingewickelt.
Natürlich gab es ebenso Zeiten, in denen ich viel gelacht, getanzt, gesungen, gejubelt und gefeiert habe. In einigen Momenten war ich glücklich und frei, aber der düstere Schatten, der mir zu folgen schien, ließ sich nie leugnen.
Eines Tages zupfte jemand an meiner Decke. Ich hielt sie tapfer, mitunter krampfhaft, fest. Dieser Mensch jedoch ließ sich davon nicht beirren und zupfte weiter und weiter. Mein Widerstand wurde schwächer und heute stehe ich längst völlig nackt vor ihr und versuche gar nicht mehr mich zu bedecken.
Ich lernte zu leiden ohne zu zerbrechen
Seit dieser Zeit habe ich mich intensiv mit mir auseinandergesetzt. Alles wurde zerpflückt und hinterfragt. Ich zerlegte mich in tausend Einzelteile und setzte mich Stück für Stück wieder zusammen.
Ich hatte ein ganz klares und festes Ziel: Ich wollte glücklich sein!
Ich tat anfangs das, was fast alle tun, die sich für diesen Weg entschieden haben. Ich machte eine Menge Fehler.
Alles negative Empfinden wurde verdrängt. Ein schlechtes Gefühl? Nicht mit mir!
Ich war positiv durch und durch. Ignorierte die Schatten auf dem Glück. So sehr ich in jungen Jahren eine Meisterin darin war die Liebe zum Leben zu verdrängen, so sehr verdrängte ich nun das Schattenreich. Natürlich funktionierte das auf Dauer nicht. Es kam zum Crash. Mein Leben zerplatzte von einem Moment auf den anderen wie eine schillernde Seifenblase.
Etwas seltsames geschah: Ich fing an zu begreifen. Alles ging plötzlich sehr schnell. Mein Kopf und mein Herz verbrüderten sich, tauschten sich nächtelang aus und wurden sich schnell einig: Das Leben ist ein Wunder aus Licht und Schatten.
Ich verstand die Zusammenhänge zwischen den Geschehnissen in meinem Leben. Ich konnte das große Ganze sehen. Das erste Mal in meinem Leben erfasste mich eine zarte Ruhe und eine tiefe Zufriedenheit. Ich erkannte das alles im Leben seinen Platz hat und das alles vorübergeht. Der Wandel des Lebens hörte auf mich zu ängstigen.
Es ist ein Kraft schenkendes Gefühl seinen Platz zu kennen.
Das erste Mal im Leben war ich wirklich authentisch. Die Erkenntnis, dass es für alles die richtige Zeit gibt, hat mich befreit.
Heute lebe ich weitestgehend in jedem einzelnen Moment. In mir ist genügend Raum für Freude, Trauer, Liebe, Schmerz, Lachen und Tränen.
Ich versuche nicht mehr zu lächeln, wenn ich weine. Ich überschminke nicht den Schmerz mit einem geheuchelten Glück. Ich bin frei von jeglichen Masken.
Lasse deine Gefühle zu, aber verliere dich nicht
Ich sehe tagtäglich Menschen, zumeist unbewusst, ihre Masken tragen. Wie ich einst sitzen sie entweder kauernd in ihrer Schattendecke gehüllt oder pudern ihre Traurigkeit mit einer dicken Schicht falschen Glücks.
Versucht euch doch einmal von dieser Last zu befreien. Weint, wenn ihr weinen wollt und lacht, wenn ihr lachen wollt. Lasst Euch nicht erklären was das Richtige ist. Hört auf eure Seele, lauscht der inneren Stimme und achtet auf das Herz: Erkennt das Gefühl, welches jetzt gehört werden möchte und schenkt ihm den Raum, den es braucht.
Alles geht vorüber. Ein unbeschreiblicher Trost liegt in diesen Worten, eine nährende Hoffnung und ein erfüllendes Glück.
Ein so kurzer Satz mit so viel Macht. Hast du ihn verinnerlicht, so wird dich eine stoische Ruhe erfassen und deine Welt kann so schnell nichts mehr erschüttern, egal was sie an Überraschungen für dich bereit hält.
Es ist ein schönes, befreiendes Gefühl sich nicht mehr vor dem Lauf der Dinge zu fürchten.
Fest an die Liebe und die Schönheit des Lebens zu glauben, schenkt dir in jeder Situation Urvertrauen. Dieser Glaube ist deine Strategie um dich nicht zu verlieren. Eine tief verbundene, bejahende Einstellung zum Leben ist der Anker, der dein Lebensschiff nicht abtreiben lässt – sei der Sturm auch noch so stark.
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