Bei der Tarotkarte die Liebenden denken wir natürlich als Erstes an die Liebe. Die Karte erzählt auch von der Liebe, aber sie tut noch viel mehr als das. Sie zeigt dem Narren auf seiner Reise durch das Reich der Tarotkarten, wie er die Balance in Gegensätzen finden kann, wie er sich für das Neue im Leben öffnen sollte oder auch, warum es wichtig ist beide Anteile von Yin und Yang in sich zu vereinen.
Fragen wir die Menschen nach dem dem schönsten Gefühl auf Erde, so werden die meisten wohl antworten: die Liebe.
Liebe kann uns erfüllen. Vielleicht ist die Liebe das einzige Gefühl, das alle anderen Gefühle in sich birgt. So kann sie uns von dem Gipfel der höchsten Freude in das Tal des dunkelsten Schmerzes führen. Die Liebenden dürfen den wahren Wert dieses allumfassenden Gefühles erkennen.
Die Liebenden im Tarot
Dieser Tarotkarte ist der Zahlenwert der Sechs zugeordnet. Bei den Christen war die Sechs die Zahl der Sünde. Die Blume der griechischen Aphrodite hatte sechs Blüten, die wie mit einer Art Spinnengewebe miteinander verbunden waren. Sechs war die Zahl der Sexualität und somit verwundert es nicht, dass die Kirche sie verteufelte, ja sogar dreifach in der 666 verteufelte, aber dazu mehr im Artikel über diese wundervolle Zahl.
Die Selbstliebe: Der Schlüssel zur Liebe
Liebe aber ist mehr als Sexualität, soviel ist so ziemlich jedem Wesen in diesem Universum klar. Die Liebenden dürfen diese Erfahrung machen, so wie sie auch lernen dürfen, dass der Zugang in das Reich der Liebe immer nur über die Selbstliebe führt.
Eine Liebe ohne Selbstliebe ist zum Scheitern verurteilt. Es ist, als werfen wir unser Herz vor die Füße des Anderen und sagen: „Liebe es, ich kann es nicht.“ Die Liebenden lernen, dass die Liebe keine Suche nach der sogenannten „besseren Hälfte“ ist. Es gibt keine andere, vor allem auch keine bessere Hälfte von uns, auch nicht von dir. Du bist bereits ein kompletter, wundervoller Mensch und keine halbe Person.
Die Liebe ist niemals ein Pakt zur Abhängigkeit.
Die Liebenden dürfen ihre eigenen Vorstellungen von der Liebe überprüfen. Soll die Liebe das Leben bereichern oder soll sie nur einen Mangel decken, eine Leere füllen?
Zu einer guten Beziehung gehört meist die Romantik, auch die Ekstase, aber das allein ist nicht die Botschaft, welche die Liebenden für dich haben. Mit dieser Karte bist du aufgefordert, deine Werte zu überprüfen. Sie lockt dich und schaut, ob du den flüchtigen Versuchungen des Lebens widerstehen kannst.
Die Balance finden
Gute Beziehungen gedeihen in der Liebe und in dem Verständnis füreinander. Liebe klammert nicht. Sie gibt ohne zu verlangen. Die Liebenden müssen die Balance zwischen Nähe und Distanz halten, ihre Werte zwischen Anziehung und Verlangen nicht aus den Augen verlieren. Die Karte der Liebenden soll Gleichgewicht in deine Welt bringen, die Dualität in Einklang bringen.
Die Karte ist dem Element Luft und dem Tierkreiszeichen der Zwillinge zugeordnet. Vor allem im Aleister Crowley Thoth Tarot wird der Aspekt der Zwillinge sehr stark hervorgehoben und der Balanceakt der Dualität noch durch weitere Attribute betont, wir kommen gleich noch dazu.
In den meisten Tarotdecks sind die Liebenden durch Frau und Mann dargestellt. In der Liebe gibt es keine geschlechtlichen oder nicht geschlechtlichen Grenzen. Diese beiden Figuren verkörpern eher das Prinzip von Yin und Yang. Die Energien des Weiblichen und des Männlichen dürfen sich vereinen und diese reinen Energien sind nicht auf ein rein äußerlich erkennbares Geschlecht beschränkt.
Im Rider-Waite Tarot führt dieser Weg zur inneren Vollkommenheit durch die Balance zwischen Yin und Yang über das Wesen der Frau, über das Yin – das empfangende, nährende und gebärdende Prinzip. Und auch hier wieder: Damit ist auch, aber keineswegs ausschließlich, der Prozess der Entstehung eines neuen Erdwesens gemeint. Alles in der Welt kann diesen Prozess durchlaufen, eine Idee beispielsweise. Der Blick des Mannes richtet sich im Rider-Waite Deck auf die Frau, die Frau selbst aber schaut nicht zum Mann, ihr Blick richtet sich auf höhere Kräfte. So wirkt sie als Yin Prinzip wie ein Kanal für die Yang Energie.
Kehren wir zurück zur Liebe
Ich erwähnte schon, dass die Liebenden nur eine Chance haben, wenn sie in der Lage sind, sich selbst zu lieben. Neben dieser Superpower brauchen sie aber auch eine in sich sehr gefestigte Persönlichkeit. Wahrhaftig zu lieben ist eine der schwierigsten Aufgaben unseres Lebens. Es zwingt uns, unsere Masken abzusetzen. Die Liebe macht verletzlich. Sie erfordert schonungslose Ehrlichkeit. Die Liebenden müssen sich komplett öffnen.
Die Liebenden werden durch die Liebe selbst geformt, wenn sie den Pfad in aller Konsequenz gehen. Die Liebe lehrt, den eigenen Willen niemals aufzugeben und die Kunst besteht darin, trotzdem den Willen des Anderen zu respektieren. Die Liebe gibt auch nicht die Verantwortung für das eigene Leben an unser Gegenüber ab. Niemand trägt die Verantwortung für mein oder dein Leben. Das tun immer nur wir selbst. Und nein, wir tragen auch nicht die Verantwortung für das, was unser Gegenüber tut.
Schaffen wir diese Reise, so öffnet die Liebe ein Reich zu tiefer Freude und schafft eine Nähe, die einfach nur wohltuend für unsere Seele ist. Die Liebe ist immer ein Drahtseilakt zwischen Leidenschaft und Vernunft. Wir dürfen ihr mit Respekt und Demut begegnen, damit wir unsere Werte nicht aus den Augen verlieren. Die blinde Liebe führt zur Selbstaufgabe. Abhängigkeiten töten Leben.
Die Liebenden im Rider-Waite-Tarot
Auf der Karte der Liebenden im Rider-Waite-Tarot stehen sich zwei nackte Gestalten – Mann und Frau – gegenüber. Die nackte Unschuld. Im Hintergrund ist eine große, geflügelte Gestalt zu erkennen, die an einen Engel erinnert. Die Arme sind ausgebreitet und zu einem Segen erhoben. Der Mann steht vor einem Baum, welcher zwölf Früchte trägt, die für die zwölf Monate stehen könnten. Er erinnert an den Baum des Lebens, welcher für das Leben selbst, aber auch für das Wachstum und die Entwicklung steht. Der Baum hinter der Frau ist vermutlich der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, symbolisiert durch die sich windende Schlange. Beide Bäume stehen laut Bibel im Paradiesgarten. Gott verbot von den Früchten zu essen, die Schlange aber verführt das Paar und der Rest ist Geschichte – der Sündenfall war erfunden.
Waite sagt zu seiner weiblichen Figur:
[…] sie ist jedoch eher die Wirkung des Geheimen Gesetzes der Vorsehung als eine willentliche und bewusste Verführerin. Denn durch den ihr zur Last gelegten Fehltritt wird der Mensch letztendlich auferstehen, und nur durch sie kann er sich vervollkommnen.
Waite spricht sie also von einer Schuld frei und ehrt in gewisser Weise somit auf der Karte der Liebenden das Mysterium Frau.
Auf der Karte blickt der Mann (Adam) zur Frau (Eva). Eva aber, wie ich schon erzählte, schaut zum geflügelten Wesen, zum Engel und somit einer höheren Daseinsform. Das Yang, das Bewusstsein des Männlichen muss das Yin, das weibliche Bewusstsein durchlaufen, um die eigene Ebene verlassen zu können. Erst dann ist eine vollständige, spirituelle Entwicklung möglich.
Die Liebenden im Crowley-Thoth-Tarot
Der Altmeister Crowley nennt die Karte auch „Die Brüder“. Für ihn ist sie ein Symbol der Zeugung. Die Schwerter der Karte sollen auf den eigentlichen Prozess hindeuten, der dabei stattfindet, den Prozess der Teilung. Du erinnerst dich, ein Ganzes kann nur entstehen, wenn die beiden Teile in ihrer eigenen Verantwortung, bei ihren eigenen Werten und ihren eigenen Entscheidungen bleiben.
Im Sinne der Brüder spricht Crowley von Kain und Abel. Sie stehen für die Weigerung Gottes, Adam und Eva zu erhören, bis nicht Blut vergossen wurde. Weiter sagt er: Erst als Kain seinen Bruder erschlug und somit dessen Blut vergossen hat, erst da kam er selbst in Berührung mit den Menschen.
Die Bedeutung der Karte laut Crowley:
- sei offen für Eingebungen
- höre auf deine Intuition
- nutze das zweite Gesicht
- sei kindlich, naiv
- schaue, wo du unentschlossen bist
- finde die Widersprüche in dir selbst
- prüfe ob deine Verbindungen zu Anderen oberflächlich oder tief sind
Crowley geht mit seiner Deutung also noch einige Schritte weiter, als beispielsweise Waite.
Schauen wir uns die Karte einmal genauer an.
Ich sagte ja bereits, dass auf dieser Karte alles paarweise auftritt. So findet sich links der schwarze Kaiser mit einer goldenen Krone und ihm gegenüber die weiße Kaiserin mit einer silbernen Krone. Vor dem Kaiser der stattliche Löwe, vor der Kaiserin der weiße Adler. Das Gold, auch der Löwe präsentieren die Kraft, die Stärke – die Energie der Sonne und des männlichen Prinzips. Das Silber, der weiße Adler sind weicher, fließender und stehen für Transformation, Emotionen und das eher weibliche Prinzip.
Vor den Beiden finden sich ihre inneren Anteile in Form zweier nackter unschuldiger Kinder wieder. Vor dem Yang des Kaisers findet sich nun sein inneres Yin, vor dem Yin der Kaiserin ihr inneres Yang. Der schwarze Junge trägt eine Keule, die für den Körper steht. Das weiße Mädchen einen Strauß mit Rosen, für die spirituellen Aspekte. Beide reichen einander die Hände, wie es auch Kaiser und Kaiserin tun. Yin und Yang bereit für die Vereinigung, für die wahre Liebe durch die Anerkennung und Wertschätzung des eigenen Potentials und des Potentials des Anderen.
Der nötige Intellekt wird durch die Lanze, den Speer repräsentiert. Er steht für die Kraft sich durchzusetzen, zu zeugen und zu erobern – eine gebende Kraft. Die Hingabe findet sich im Kelch, als empfangende Kraft.
Eine wirklich große, verhüllte Gestalt mit langem weißen Bart und violettem Gewand segnet das Paar. Die Gestalt selbst erinnert stark an den Eremiten aus dem gleichen Deck.
Das unten abgebildete, geflügelte, schlangenumwundene Ei steht für den Beginn des Lebens, das Mysterium des Lebens an sich. Von oben schießt Cupido seinen Liebespfeil ab, was den Gedanken der Vereinigung weiter vertieft.
Du erinnerst dich, die Schwerter im Hintergrund nannte Crowley ein Symbol der Teilung. Ich folge gerne dieser Idee. Für mich sind sie auch ganz klar ein Zeichen dafür, dass wir klare Entscheidungen treffen müssen, uns selbst treu bleiben sollen – um einer Begrenzung der eigenen Freiheit zu entgehen. So kann die Liebe in Unabhängigkeit erblühen. So führt nur eine klare Teilung zu dem ersehnten Ganzen.
Die Liebenden liegen auf dem Tisch und nun?
Natürlich kann dir die Karte eine neue Liebe in dein Herz und dein Haus bringen, die Chancen stehen nicht schlecht. Also Augen offenhalten.
Sie kann dich aber auch dazu aufrufen, dein Leben mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Wo zum Beispiel stehen zu viele Ereignisse deines Lebens im Widerspruch zueinander und wie kannst du sie wieder in Einklang miteinander bringen. Es gilt die Balance, die Harmonie in der Dualität zu finden.
Erkenne, dass ALLES im Leben immer zwei Seiten hat, die untrennbar miteinander verbunden sind. Alles was wir möchten, enthält immer eine Essenz von dem, was wir eigentlich nicht möchten. So enthält aber auch alles, auf das wir gut verzichten könnten, auch immer eine Essenz von dem, was wirklich gut für uns ist.
Die Karte fordert dich also auch auf, bei all deinen Entscheidungen wirklich alle Aspekte zu berücksichtigen, schaue dir alles an und wähle weise. Verbiege dich nicht, bleibe dir treu und folge deinem eigenen Willen. Der Narr reist durch das Tarot, um Vollkommenheit zu erlangen und die Liebenden stellen ihm auf diesem Seelentrip der Polarität sein eigenes Bewusstsein gegenüber. Begreift der Narr den wahren Kern dieser Botschaft, so ist er auf seinem Pfad einen Schritt weiter gekommen.
Quellen:
Crowley, Aleister (2019), Toth Tarot: Originalausgabe (2. Aufl.).Krummwisch AGM-Urania.
Waite, Arthur Edward (01. Januar 1978), Der Bilderschlüssel zum Tarot: Erste Auflage, Urania.
Angeles Arrien (2001), Handbuch Crowley Tarot: Praxisbezogene Anleitung zur Interpretation des Aleister Crowley Tarots (4. Aufl.).Neuhausen/Schweiz Urania Verlags AG. [online: http://rkspiele.de/wordpress/wp-content/uploads/2015/04/Tarot-Hanbuch.pdf. [Stand 05.03.2021]]
docplayer.org: Gerd Ziegler. Tarot: Spiegel der Seele. Handbuch zum Crowley-Tarot. (Stand unbekannt). http://docplayer.org/12116343-Gerd-ziegler-tarot-spiegel-der-seele-handbuch-zum-crowley-tarot.html. [05.03.2021]