Die Lust im Aleister Crowley Thoth-Tarot ist die elfte Station des Narren auf seiner Reise durch die Große Arkana des Lebens. Die Lust wird meist ebenso falsch verstanden, wie das Tantra – beide Bereiche neigen wir schnell lediglich zu sexualisieren. Das aber würde der Lust und auch dem Tantra niemals gerecht werden. In beiden Fällen gehen wir vollständig in dem was wir tun auf. Es ist sind Wege der Ekstase, aber sie führen über unser Verständnis des Sexuellen weit hinaus.
Der einstige Begriff dieser Karte ist „Die Stärke„, im Waite Tarot die achte Station der großen Arkana. So hat Crowley nicht nur den Begriff, sondern auch den Zeitpunkt der Narrenreise geändert. Beides macht Sinn. Crowley selbst sagte, dass er den Begriff der Lust wählte, da die Karte nicht nur Stärke bedeute, sondern „auch die Freude an der ausgeübten Stärke“.
Die Lust im Crowley Tarot
Im Zentrum der Karte sehen wir eine Frau, die lustvoll einen Löwen reitet, einen Löwen mit sieben Köpfen und Schlangenschwanz. Crowley sagt:
Die sieben Köpfe des Löwen zeigen einen Engel, einen Heiligen, einen Dichter, eine Ehebrecherin, einen Krieger, einen Satyr und eine Löwenschlange.
Die Frau ist nackt und trägt flammendes Haar. Sie wirkt ekstatisch, fast wie von Sinnen und absolut hingebungsvoll. Diese Darstellung betont ihre lustvolle Aufopferung zu allen Formen der Schöpfung. In der Linken hält sie die Zügel in der Hand, in der Rechten streckt sie den entflammten Kelch empor, der das Leben und den Tod enthält.
In diesem Kelch werden die Elemente des Sakramentes des Neuen Æons miteinander vermischt.
Aleister Crowley
Die alten Heiligen im Hintergrund wirken, als wären sie endgültig vergangen. Crowley bezeichnet sie selbst als blutleer. Es sind die ausgedienten Werte, die überwundenen Lebensdoktrin.
Die völlig enthemmte, nackte und auf dem Löwen reitende Frau gebiert ein Neues Leben, das alte Leben ist vollkommen in ihrem Heiligen Gral aufgegangen.
Er beschreibt mit diesen Worten die Transformation, welche mit ganzer Leidenschaft vollzogen wird. Die Lust am Leben selbst ist förmlich zu spüren, die (auch sexuelle) Ekstase vibriert – sie kennt weder Scham noch Schuld.
Als Heiligen Gral bezeichnet er den bereits erwähnten Feuerkelch, den sie in den Himmel streckt. Er steht für den Tod, das Leben und die Wiedergeburt – für Zerstörung und Erneuerung. Sie hat sich der zehnten Karten, dem Rad des Schicksals vollkommen hingeben, den Lauf des Lebens verstanden. Sie hat das Fließen des Seins akzeptiert und ist völlig darin aufgegangen.
Der Löwe mit Schlangenkraft
Die Frau mit dem flammenden Haar reitet lustvoll das Tier , manche sagen den Teufel „666“ selbst, die Bestie. Die Lust wird hier zum unbedingten Willen nach Selbstverwirklichung, zu einer animalischen Gier nach allen Facetten des Lebens.
Während bei Waite die Stärke, die Kraft durch eine eher liebliche Frau dargestellt wird, die einem sanft anmutendem Löwen das Maul hält, geht Crowley in seiner Interpretation wesentlich weiter.
Die erwachte Frau wird eins mit dem Löwen, sie verschmelzen. Sei reitet ihn ohne ihm seine Kraft zu nehmen. Sie ist furchtlos und muss das Leben nicht bändigen, um in die eigene Stärke zu kommen.
Keine Unterdrückung, sondern absolute Hingabe an das Leben selbst. Alles wird bejaht und alles darf sein. Die Lust ist die Gier nach Wahrhaftigkeit. Sie gibt sich jedem Aspekt des Seins vollkommen hin. Nur so überwindet sie die kollektive Moral und die konditionierte innere Angst. Sie erfindet sich neu und entfaltet ihr ureigenes Wesen.
Nicht nur die Frau, auch der Löwe erstrahlt in totaler, nichts beschönigender Vollkommenheit. Die sieben Köpfe stellen dar, durch welche Täler sie für die Lust des Lebens gegangen sind. Sein Schwanz ist eine Schlange mit Sonnenkranz, welche die vollkommene Erneuerung deutlich zum Ausdruck bringt. Gleichzeitig symbolisieren Kopf und Schwanz des Löwen den Kreislauf des Lebens, denn die Schlange scheint jederzeit zum Biss bereit.
Im Kundalini sitzt die Schlangenkraft am unteren Ende der Wirbelsäule. Steigt die Schlange in uns auf, so potenziert sich unsere physische und psychische Kraft ins Unermessliche. Wichtig ist dabei, dass sich beide Seiten des Lebens gleichermaßen potenzieren, das zutiefst Göttliche, aber auch das zutiefst Abgründige. Es heißt, wer die Schlange meistert, ist ein wahrer Buddha. Sie ist die Urenergie des Universums.
Die Schlangenkraft erhebt sich, das innere Feuer bricht aus und es wird sich zeigen, welche Kräfte es entfaltet.
Die Lust entfaltet sich in den tiefen Impulsen durch das Leben selbst durchzubrechen, Das Bewusstsein und das Unterbewusstsein verschmelzen und führen zur Ekstase – zur höchsten Erfahrung der eigenen Kraft.
Der Ausbruch der eigenen Schlangenkraft erfordert ein hohes Maß an mentaler Stärke. Wir müssen das Tier reiten und dennoch die Zügel in der Hand halten, sonst kann es uns nicht in die Erleuchtung, den höchsten Sinn führen. Ohne mentale Stärke lauert die Gefahr, nicht den Sinn, die Lust zu finden, sondern sich im Wahnsinn zu verlieren.
Den Löwen nur zu zähmen und gefügig zu machen, ist wie mit 300PS ständig auf der Bremse zu stehen und bergauf fahren zu wollen. Den Gipfel erreichen wir so nicht. Steigt das Kundalini auf, so entfacht sich eine Gier nach Lust, eine hoch schwingende Ekstase – körperlich durchaus von Hitzewallungen begleitet. Nicht selten erleben Menschen in diesem Zustand eine Reihe von Visionen.
Die gesamte innere Power explodiert und implodiert zugleich, all unser Potenzial entflammt wie das Haar der Frau. Nun ist alles eins und wird ekstatisch erkannt. Die bewusste Welt hat sich mit dem Unbewussten zur göttlichen Erfahrung vereint.
Wo fließt deine Schöpferkraft?
Die Lust obsiegt, wenn die inneren Bestien bezwungen und wir zutiefst von der eigenen Kraft durchflutet sind. Es gibt keine Angst mehr, sondern nur noch den Ritt mit Leben und Tod.
Den Löwen zu reiten bedeutet, die eigene Schöpferkraft vollkommen auszuleben. Was möchtest du in diesem Leben schöpfen, welche Kräfte sollen fließen und wo findest du die Lust, die wahre Lust am Leben?
Bei dieser Karte können wir uns fragen, was uns ausbremst und wo unsere Angst unsere Entwicklung behindert. Was steht deiner eigenen Entfaltung im Weg? Bist du bereit für dein wahres Ich?
Die Lust ist eine Aufforderung ins Handeln zu kommen, sie weist auf unser tiefes Verlangen nach Individualität hin. Jetzt ist leidenschaftliche Hingabe gefragt. Sei mutig und stell dich deinem inneren Tier, den Bestien in deiner Tiefe, den alten überholten Werten. Die Schatten, die Angst, die Trauer, die Wut, der Schmerz – sie alle gehören dazu, wenn du wahre Ekstase erfahren möchtest.
Ziehst du die Karte im Zusammenhang mit einer Frage bezüglich einer Partnerschaft, so kann sie zu sexuellen Experimenten ermuntern, aber auch hier verlieren wir uns oft in einem Missverständnis. Das heißt nicht zwangsläufig, dass wir mehr Gas geben sollen, die sexuelle Show auf einer noch größeren Bühne aufzuführen – mitunter liegt das Geheimnis ganz im Gegenteil. Schon einmal Slow Sex probiert? Die Lust lauert manchmal in Welten, von denen wir es gar nicht vermuten.
Quellen:
Crowley, Aleister (2019), Toth Tarot: Originalausgabe (2. Aufl.).Krummwisch AGM-Urania.
Angeles Arrien (2001), Handbuch Crowley Tarot: Praxisbezogene Anleitung zur Interpretation des Aleister Crowley Tarots (4. Aufl.).Neuhausen/Schweiz Urania Verlags AG. [online: http://rkspiele.de/wordpress/wp-content/uploads/2015/04/Tarot-Hanbuch.pdf. [Stand 28.06.2021]]
docplayer.org: Gerd Ziegler. Tarot: Spiegel der Seele. Handbuch zum Crowley-Tarot. (Stand unbekannt). http://docplayer.org/12116343-Gerd-ziegler-tarot-spiegel-der-seele-handbuch-zum-crowley-tarot.html. [28.06.2021]