Wir haben schon von dem Ei des Kolumbus gehört. Wir kennen es auf dem Frühstückstisch und so manches Mal finden wir, dass dies nun nicht gerade das Gelbe vom Ei war. Was aber steckt eigentlich hinter diesem kleinen Wunderwerk der Natur. Wagen wir einen Blick über den Eierbecher hinaus.
Das Ei – Die Urkraft der Schöpferin
Etwa 600 Jahre vor Christus sprachen die Orphiker (eine religiöse Strömung der griechischen Antike) von der Entstehung der Welt durch das Ei. Dieses Weltenei wird oft mit einer sich um das Ei windenden Schlange dargestellt: das sogenannte orphische Ei. Dir ist dieses Symbol vielleicht bei den Liebenden im Crowley Tarot aufgefallen.
Die Große Mutter der Finsternis gebar das Weltenei, welches für manche gleichbedeutend mit dem Mond ist. Sie ist der dunkle Schoß, in dem alles erzeugt wird. Es heißt, selbst der himmlische Vater bewunderte die Ur-Nacht mit ihren schwarzen Schwingen¹ voller Ehrfurcht.
Aus den zwei Hälften der Schale schuf sie Himmel und Erde. Eros, das Begehrte, entsprang dem Ei als erste Gottheit. Sie ist zweigeschlechtlich – Mann und Frau. Sie ist ein Flügelwesen und erzeugt alles.
Die Ur-Nacht selbst war eine Dreifache Göttin, eine Triade. Neben ihr herrschten die Ordnung und die Gerechtigkeit.
Begreifen wir das Weltenei als psychologischen Archetypus, so ist die Ur-Nacht unsere Unbewusstheit, aus welcher Alles entsteht.
Dieser Mythos liegt auch dem Dionysoskult zu Grunde, der Name von Eros dort eben jener Dionysos.
Lass mich dir von einem Mythos der Pelasger berichten, eines der ältesten Bevölkerungen Griechenlands.
Die Schlange und das Weltenei – Schöpfungsmythos der Pelasger
Im Anbeginn der Welt gab es nur das finstere Urmeer Nun (Chaos), aus dem Eurynome, die Mutter der Welt, nackt hervorging. Zuerst trennte sie das Meer vom Himmel und tanzte einsam auf den Wellen gen Süden. Da erhob sich hinter ihr der Nordwind und die Göttin spürte, dass das Werk der Schöpfung beginnen konnte. Also rieb sie den Wind zwischen ihren Händen und es ward die Riesenschlange Ophion. Eurynome tanzte nun immer wilder, bis sich Ophion, lüstern geworden, um ihre göttlichen Glieder schlang und sich mit ihr paarte. Dann nahm die Göttin die Gestalt einer Taube an, und legte beizeiten das Weltenei. Auf ihr Geheiß wand sich die Schlange siebenmal um das Ei und bewachte es, bis es ausgebrütet war. Aus dem Weltenei wurden alle Dinge geboren: die Gestirne des Himmels sowie die Erde mit all ihren Lebewesen und der Sonnengott Re, der die Welt erhellte.²
Die Vorstellung, dass unser Universum durch die Große Mutter aus dem kosmischen Ei hervorging, war in vielen Kulturen verbreitet. So brütete die Titanin Leto, als Geliebte von Zeus, Sonne und Mond aus einem Ei aus, Apollo und Artemis.
In der ägyptischen Mythologie brütete Göttin Hathor das goldene Ei der Sonne aus. Wir kennen das Goldene Ei aus dem Märchen „Die goldenen Gans“. Caesar berichtete von den Kelten, dass ihnen die Gans heilig war. Sie durfte unter keinen Umständen gegessen werden, denn sie trägt das Sonnenei.
Noch im Mittelalter war es verpönt eine Gans mitten im Winter zu schlachten, denn die Menschen glaubten noch immer, dass die Sonne die mütterliche Wärme der Gans braucht, um neu zu erstrahlen. Dieser tiefe alte Glaube wurde erst mit der Dickens Weihnachtsgeschichte vollkommen auf den Kopf gestellt. Seither wird sie leider als weihnachtliches Festmahl angepriesen.
Einst heilige Tiere wurden umgedeutet und nicht nur der Gans dichtete das neue Dogma an, dass sie die Seele ungetaufter Heiden in sich trage.
Das Oster-Ei
Woher kommt denn eigentlich der Brauch, dass ein Hase zu Ostern die Eier versteckt?
Es gibt da unterschiedliche Vermutungen. Die alten Kelten sollen in der Oberfläche des Mondes einen Hasen gesehen haben. Für sie war dieser Hase mit der alten Göttin Eostres verbunden. Wir kennen sie von dem Ostara- Fest. So wurde der Hase das Totemtier der alten Frühlingsgöttin. Es hieß, dieser Hase lege die Eier für die Kinder.
Die Hasen waren übrigens in Schottland die tierischen Schutzgeister der Hexen, aber das nur am Rande.
Eine andere oder auch ergänzende Theorie besagt, dass die Menschen mit der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche begannen, nach den gelegten Eiern der Hühner zu suchen. Ohne dem künstlichen Licht, wie heute üblich, legen die Hühner erst wieder Eier, wenn mindestens 12 Stunden am Tag die Sonne scheint, also wenn das Ostara-Fest gefeiert wird.
Die Hühner waren auch nicht in Gehege gesperrt, so dass nach den Eiern wirklich gesucht werden musste. Das kommt uns irgendwie bekannt vor, nicht wahr?
Die Eier zeigten den Menschen nicht nur, dass nun wirklich der harte Winter vorbei war, sie waren gewiss ebenso eine wichtige Nahrungsquelle nach der langen Zeit der Entbehrungen.
Den alten Schöpfungsmythen – rund um den Globus verteilt – ist zu entnehmen, dass das Ei schon immer eng mit dem weiblichen Geschlecht verbunden war. So wird angenommen, dass vor allem die Frauen die ersten Eier des Jahres in ganz besonderer Weise würdigten. Die Rückkehr des Lebens wird gefeiert. Mit der Inquisition waren alle alten Bräuche lebensgefährlich geworden.
Mir gefällt die Theorie, dass die Frauen – nun sehr vorsichtig – weiterhin an ihren alten Traditionen festhielten und die Eier, mit allerlei Botschaften verziert, an Kraftplätzen, alten Quellen, Waldwegen, Wiesen oder Baumwurzeln versteckten.
Das Ei in der Alchemie³
John Dee (1527-1608) war ein Astronom und Mathematiker. Von ihm stammt die „Monas Hieroglyphica„.
Die Monas Hieroglyphica oder auch Monas Glyphe genannt, ist eine Darstellung von einem Weltenei aus dem Jahre 1564.
John Dee spiegelte im Ei den Ätherhimmel, da er erkannte, dass die Planeten nicht kreisförmig, sondern oval ihre Umlaufbahnen ziehen.
Paracelsus nutzte ebenfalls das Ei für seine Betrachtungen. Er sagte, der Himmel ist eine Schale, die die Welt und den Himmel Gottes voneinander unterscheidet, eben gleich wie die Schale das Ei.
„Der Dotter bedeutet die untere Sphäre, der Klar die obere: der Dotter: Erde und Wasser, der Klar: Luft und Feuer.“ (aus dem Paragranum 1530)
Der Poet William Blake hat in seinem Werk Milton „die eiförmige Welt von Los“ dargestellt.
Sie wölbt sich aus dem Wirbelpunkt des Chaos und ist durch zwei Grenzen definiert: Adam und Satan.
Beide verhindern sie den wahren Blick auf das Leben, denn Adam ist gefangen in der materiellen Begrenzung und Satan in den Grenzen der Undurchsichtigkeit.
Für Blake ist alles Sein ewig und unendlich.
Umgeben ist das Ei von den vier Grundkräften des Universums:
- Urthona/los = Imagination
- Luvah = Leidenschaft
- Urizen = Vernunft und
- Tharmas = der Leib.
Auch Hildegard von Bingen hat sich mit dem Weltenei beschäftigt.
Sie hatte eine Vision des Kosmos‘ in einem Ei und hat diese Vision später dargestellt.
„Danach sah ich ein riesenhaftes Gebilde, rund und schattenhaft. Wie ein Ei spitzte es sich oben zu.“
Bei der äußersten Schicht handelt es sich um Feuer. Im Feuerkranz schwebte die Sonne als funkelnder Feuerball.
Darunter so Bingen „lagerte eine finstere Haut.“ Unter dieser Haut ist der Äther mit seinen Sternen und dem Mond.
Eine Schicht tiefer unter dieser finsteren Haut liegt eine weitere, eine „weiße Haut“. Sie nennt diese Schicht auch das „obere Wasser“.
Das Opus Magnum
In einer bedeutsamen alchemistischen Betrachtungsweise ist vom Opus Magnum die Rede. Es ist das Große Werk und bezieht sich auf die Umwandlung der Ausgangsstoffe in Gold oder auch in den Stein der Weisen.
Aus unedlen Stoffen soll durch Transmutation Gold entstehen.
Diese Theorien blühten im 1. und 3. Jahrhundert regelrecht auf. Dabei ist von drei Graden, auch drei Schlüsseln der Verfestigung die Rede.
Am Anfang steht die sogenannte Materia Prima, der Urzustand der Materie.
Der erste Prozess ist die Schwärzung, das Nigredo. Die Stoffe werden zumeist für 40 Tage mit Pferdemist ummantelt und im Erdreich vergraben. Der Stoff wird anschließend gereinigt, der zweite Prozess der Weißung (albedo) und zu guter Letzt im dritten Prozess der Rötung (reductio) wird der erneuerte Geist wieder mit der Materie verbunden.
Für diesen Prozess wurde ein hermetisch versiegeltes Gefäß verwendet, das sogenannte philosophische Ei. In ihm stellten die Alchemisten den Stein der Weisen her. Dabei übernimmt das gläserne Ei die Rolle einer brütenden Henne. Das Ei wird auch als der „schützende Leib der Erde“ oder als irdische „Gebärmutter„, die Matrix (Latein) bezeichnet. In diesem Ei dürfen die Stoffe in aller Ruhe, behütet und beschützt zur Vollkommenheit reifen.
Die Materia Prima, das Chaos des Urzustandes entfaltet sich im philosophischen Ei zu neuem Leben. Dies geschieht niemals ohne den Prozess der mortificatio (lat.), der Abtötung und der putrefactio.(lat. Fäulnis, Verwesung) Die Putrefaktion ist der alchemistische Prozess vor der Schwärzung. Für eine quasi Wiedergeburt der Ausgangsstoffe in einer höheren Form müssen sie zunächst abgetötet werden. Sie werden dabei ihres eigentlichen Geistes entleert und zur Verwesung gebracht. Der Geist selbst kehrt zu seinem Ursprung zurück – nun frei von allen irdischen Anhaftungen – und erneuert sich. An dieser Stelle wird deutlich, warum von dem philosophischen Ei die Rede ist.
Zauberey mit dem Ei
Für einen alten Liebeszauber wurde das Ei einer schwarzen Henne benötigt. Dieses Ei ist nach Sonnenuntergang an einer Wegkreuzung zu begraben. In der darauffolgenden dritten Nacht darf es ausgegraben werden. Nun muss dieses Ei verkauft werden, damit mit dem Geld ein Spiegel erworben werden kann. Dieser Spiegel wird nun an eben der Stelle vergraben, wo auch das Ei vergraben war. Dabei wird die Göttin der Liebe, die Venus angerufen. Es muss drei Nächte bei dem Spiegel geschlafen werden und dann verlieben sich all jene Menschen in dich, die in diesen Spiegel schauen.
So eine alte Legende. Ein wenig umständlich, wenn du mich fragst.
Leichter umzusetzen ist die Entladung von negativer Energie mit dem Ei.
Du kannst ein ungekochtes Ei an deinem Körper oder dem, der entsprechenden Person, entlangführen und dabei das Ei beschwören, alle negativen Energien aus dem Körper in sich aufzunehmen. Mache dies solange, bis sich das Ei schwer und voll anfühlt. Manchmal braucht es auch mehr als nur ein Ei.
Gehe dann in die Natur und suche dir eine geeignete Stelle, um das Ei zu vergraben. Komme bloß nicht auf die Idee, das Ei zu essen und bitte gib das Ei auch sonst niemandem zu essen. Was du beim Vergraben beachten musst, klärt sich gleich bei meinem letzten Vorschlag.
Diese dritte Möglichkeit beschreibe ich auch in meinem Buch: Der alte Pfad und die Rauhnächte. Auch hier geht es darum, negative Blockaden zu lösen.
Nimm das Ei dieses Mal in die linke Hand. Konzentriere dich und schicke alle negativen Elemente, Blockaden und Energien mit der Kraft deiner Gedanken in das Ei. Bitte das Ei, all diese Elemente in sich aufzunehmen.
Höre auch hier auf, wenn sich das Ei schwer anfühlt. Gehe nun das Ei brechen. Suche dir einen abgelegenen Platz in der Natur, grabe ein Loch und breche über diesem Loch das Ei. Lasse auch die Schalen in das Erdloch fallen. Grabe es dann schnell und gründlich zu.
¹) Barbara G. Walker: Die geheimen Symbole der Frauen. Lexikon der weiblichen Spiritualität. 1997. Heinrich Hugendubel Verlag.
²) Robert von Ranke-Graves: Griechische Mythologie 1: Quellen und Deutung. 1984. Verlag: Rowohlt Taschenbuch.
³) Alexander Roob: Alchemie & Mystik. 2020. Taschen GmbH.