Das Kind, der Betrunkene und der Narr sagen die Wahrheit, so ein Sprichwort aus Ungarn. Hierzulande sagen wir: Zuweilen ein Narr sein, ist auch eine Kunst. Beide Verse kommen der Wahrheit nah.
Der Narr – genauer gesagt der Hofnarr¹ – hatte eine gewisse Narrenfreiheit. Er konnte am Hofe Dinge sagen, die ein anderer nicht auszusprechen gewagt hätte – ein Satiriker mit spitzer Zunge. So durften sie, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, Kritik am Hofe äußernf oder auch die Adligen parodieren. Genügte es allein dazu, den König zu erheitern? Wohl kaum. Ein Narr ist mehr, als sein schlechter Ruf uns glauben lässt. Als „Offizianten“ hatten sie ein festes, höfisches Amt inne, „eine soziale Institution zulässiger Kritik“. Gewiss bedurfte es einer ganz eigenen, tiefen Weisheit unter der Narrenkappe, um neben dem König und am Hofe zu bestehen.
Seine Kasperle-Kleidung war wohl des Hofes Art, dem Narren eine Berechtigung zu geben. Wer kann schon jemanden ernst nehmen, der derartig lächerlich wirkt. So dürfte es leichter gefallen sein, dem Narren sein scharfes Mundwerk zu verzeihen.
Der Narr im Tarot
Diese Karte führt in manchen Decks die große Arkana an, in anderen schließt er sie ab. Für mich tut der Narr beides – Er ist Anfang und Ende. Er schließt einen Kreis, wie ein Ouroboros oder wie auch seine numerische Zuordnung, die Null, wenn er am Anfang steht. Die Null ist das (Welten)-Ei, der Ursprung der Schöpfung. Lies es gerne im verlinkten Artikel genauer nach, denn beschäftigen wir uns mit einer Karte aus dem Tarot, ist es wichtig, auch immer die zugehörige Zahl zu beachten.
Am Ende gesetzt, hat der Narr die Kennziffer 22. Aber auch sie führt uns zum Anfang zurück: 2-2=0.
Denken wir einmal kurz an das Ziehen eines Schutzkreises in der Magie, der die Energien innerhalb des Kreises halten soll. Wie du den Kreis ziehst, ist dir überlassen, wichtig jedoch ist es, ihn zu schließen. Ich beginne oft im Osten, visualisiere den Kreis weiter in den Süden, dann in den Westen und hoch in den Norden. Würde ich an diesem Punkt enden, so wäre zwischen Ost und Nord eine Lücke. Also gehe ich vom Norden noch einmal zum Osten und vollende den Kreis. So ist es auch mit dem Narren im Tarot, egal ob er am Anfang oder am Ende steht, er ist stets das verbindende Element, dass den Kreis wieder schließt.
Der Narr entspricht dem Element der Luft, welches für (freies) Denken und den (freien) Geist steht.
Der Geist ist frei!
Der Geist ist unschuldig, wie das Denken eines Kindes. Die Welt des Narren ist durch nichts blockiert. Sie ist eine Quelle, sie birgt ein unendliches Potential an Möglichkeiten.
Die pure Unschuld
Die Quelle des Narren ist nicht wissend und weiß doch alles. Sie ist unbewusst. Die Handlungen sind spontan, unschuldig, unbekümmert – wie ein gerade geborenes Wesen. Der Narr ist losgelöst. Er kann vollkommen kreativ aus seinem Selbst schöpfen und aus seinem Instinkt heraus handeln. Im Rider-Waite Tarot ist der Narr ein „Hans Guck-in-die-Luft“. Er ist in Gefahr, aber dabei vollkommen sorglos und sich seiner selbst sicher. Und doch, einen Schritt weiter und er fällt über den Abgrund. Wie gut, dass da noch der Hund ist, der ihn wohl rechtzeitig warnen wird.
Überhaupt ist der Narr im Rider-Waite Tarot völlig unbekümmert unterwegs. Sein Gepäck ist leicht. Er ist ein junger Bursche (oder eine junge Frau?) und schaut nicht, wohin der Weg führt. Er geht einfach! Die Sonne scheint und in seiner Hand trägt er die Rose der Unschuld.
Für den Narren, in dieser unschuldigen, unbekümmerten Art, sind alle Optionen dieser Welt vollkommen offen. Es spielt keine Rolle, ob diese positiv oder negativ sind, wichtig ist, dass sie einfach in einer unvorstellbaren Fülle vorhanden sind.
Ein Narr trägt, wie die Kinder, nicht die Fesseln der Vernunft. Mit dem Narren ist es an der Zeit, auf das Kind in uns zu hören. Wir dürfen etwas riskieren, mutig sein, unbekümmert nach vorne schauen, lachen und auf unsere Intuition vertrauen.
Die Karte lacht dich an und sagt:
Du bist die pure Unschuld.
Handle aus dem Bauch heraus und vertraue dem Leben.
Öffne Augen und Geist
Wie bei der Null ist der Narr das leere Blatt Papier. Der Punkt, von dem aus alles möglich ist. Die Entwicklung ist nicht festgeschrieben, sie kann in jede nur erdenkliche Richtung verlaufen. Das Ziel ist nicht bekannt und an diesem Punkt des Lebens auch überhaupt nicht wichtig. Hier geht es vielmehr darum, sich selbst zu vertrauen und das eigene Potential zu erkennen. Welche Ressourcen schlummern in dir und wie kannst du sie nutzen. Öffne deine Augen und öffne deinen Geist.
Sei neuigierig. Sei aufgeschlossen. Blicke über den Tellerrand und schaue, welche Möglichkeiten für dich da sind.
Behalte dabei immer diese zwei Fragen im Hinterkopf:
- Was fühlt sich gut an?
- Was macht dir eher Bauchweh?
Denke gut darüber nach und ziehe die richtige Konsequenz aus deiner Überlegung.
Der Narr ist weise
„Ein Narr, wer glaubt, auf Narren verzichten zu können.“, sagte einst Kurt Haberstich. Unsere Welt braucht die Narren. Uns wird zu oft gelehrt, nicht aus uns selbst heraus zu handeln, sondern mit dem zu arbeiten, was uns in die Hand gedrückt wird. Aber der Narr ist eine Quelle unerschöpflicher Weisheit.
In uns schlummert so viel mehr Wissen, als wir ahnen. Das Wissen all unserer Ahnen strömt durch unseren Geist. Wir dürfen diesem Urwissen vertrauen. Bist du mutig genug in das Unbekannte zu gehen, so bist du wahrlich ein Narr. Ein Narr, der damit belohnt wird, dass sich ihm das gesamte Spektrum des Lebens öffnet und dir die unglaublichsten Entfaltungsmöglichkeiten zu Füßen liegen.
Schaffe dem Narren einen Platz in deinem Leben. Habe den Mut, deinen eigenen Weg zu gehen und fürchte dich nicht vor der Zukunft. Du musst die Quelle deiner eigenen Weisheit nur öffnen, um sie zu nutzen.
Das bedeutet nicht, dass du deine Fähigkeit überbewertest, dich von einer Klippe stürzt und glaubst, fliegen zu können. Es bedeutet, dass du dich nicht mit etwas geringerem zufrieden geben sollst, als du zu erschaffen vermagst. Sei genau so, wie du bist.
Die Karte sagt dir
Jetzt ist die Chance gekommen, um etwas vollkommen Neues auszuprobieren. Du darfst, nein du sollst alle inneren Zwänge ablegen und deine (!) Reise antreten. Vertraue dabei in die Welt. Scheue keine Experimente. In dir schlummert ein ganzer Pool an Ideen, aus dem du schöpfen kannst. Öffne dich dafür. Denke nach und horche in dich hinein.
Sei einfach du selbst, stütze dich auf deine ureigene Sensibilität für das Leben. Erkenne den Kreislauf des ewigen Lebens, erkenne das jedes Ende ein neuer Anfang ist. Vertraue der Kraft deiner inneren Spiritualität. Lebe die Torheit!
Steht die Karte auf dem Kopf, so hast du den Narren in dir vielleicht noch nicht gefunden. Die Chancen sind durch etwas blockiert, das erst noch geöffnet werden muss. Es ist mitunter zu lesen, dass die Karte dann eher davor warnt, sich in etwas Neues zu stürzen, weil falsche Entscheidungen getroffen werden können.
Ich sehe auf dem Kopf liegende Karten nicht als gegenteilig zu ihrer ursprünglichen Bedeutung. Für mich ist es eher ein: Schaue hier bitte ganz genau hin. Sieh, ich habe dir die Karte extra umgedreht, damit du sie auch ja beachtest.
Wie und ob du überhaupt mit umgedrehten Karten umgehst, musst du selbst entscheiden. Das Wichtigste im Tarot ist, aus den eigenen Erfahrungen mit den Karten zu schöpfen.
Der Narr im Aleister Crowley Toth-Tarot
Ich habe einige Karten-Decks, darunter auch Decks, die weniger bekannt sind, aber deshalb nicht minder spannend. Die drei Bekanntesten dürften wohl das Marseiller-Tarot, das Rider-Waite-Tarot und das Aleister Crowley Toth-Tarot sein. Unter diesen ist das Aleister Crowley eindeutig mein Favorit.
Was wir sehen
Die Figur auf der Karte entspricht vermutlich dem Dionysos, dem Frühlingsgott.² Die Figur trägt (Füll) Hörner, was von Überfluss zeugt. Er ist grün, golden gekleidet – trägt die Kraft des Frühlings und der Sonne in sich. Das verdeutlicht auch sein Gürtel, den das Symbol der Sonne ziert. Das steht für Feuer, für Kreativität. Die Lage der Sonne über dem Gemächt des Narren bekräftigt dies noch und bringt eine starke schöpferische Kraft hervor.
Der Narr ist umschlungen von einer langen Nabelschnur, die sich in vier Spiralen windet³.
Die 1. Spirale legt sich um das Herz des Narren, welches dadurch eine wichtige Rolle einnimmt und nahe legt, dass die Handlungen nicht dem Geist, sondern dem Herzen entspringen sollen.
Die 2. Spirale trägt drei Symbole. Als Erstes den Caduceus, den Hermesstab mit den zwei ineinander gewundenen Schlangen. Dies bringt Heilung und auch Wohlbefinden hervor. Das zweite Symbol ist ein Zeichen der Metamorphose, der Verwandlung und Erneuerung – der Schmetterling. Und als Drittes haben wir die Taube, Botschafterin des Friedens und auch Attribut der Göttin Venus, somit auch ein Zeichen der Liebe (sich selbst und anderen gegenüber).
In der Senke der 3. Spirale umarmen sich zwei nackte Menschen, was für unsere Beziehungen steht, sei es nun familiär oder anderweitig.
Die 4. Spirale zeigt ein Krokodil. Möglich, dass Crowley damit einen Bezug zu Sobek, dem ägyptischen Krokodilgott herstellen wollte. Einer Legende nach soll das ursprüngliche Tarot aus Ägypten stammen. Krokodile waren in Ägypten heilige Tiere, die auch einbalsamiert wurden. Sie wurden unter anderem für Orakel genutzt. Sobek ist der Herrscher über das Wasser und zudem ein Gott der Fruchtbarkeit.
Das Element des Feuers findet sich nicht nur im Sonnengürtel. Der Narr trägt es direkt in der linken Hand. In der rechten Hand findet sich das Element des Wassers noch einmal wieder, in dieser trägt er einen Kelch. Beide zusammen das Wasser des Kelches und das Feuer scheinen alchimistisch miteinander vereint zum Element der Luft, welche im Hintergrund durch Wirbel dargestellt ist. Die Erde findet sich zwischen den Beinen des Narren, in welcher Blumen wachsen.
Er steht auf geerdetem Grund und Boden (Element Erde), vereint seine Emotionen (Element Wasser) mit seiner unbändigen Energie (Element Feuer) und lässt daraus eine neue, lebendige Idee (Element Luft) entstehen.
Der Narr ist nicht arm, er ist unendlich reich. Das symbolisiert der Beutel voller Münzen und da es bei Reichtum nicht immer nur um materielle Werte geht, sind diese mit astrologischen Symbolen verziert, ein Reichtum bis in die Weiten des Universums hinein.
Fast hätte ich den Tiger vergessen, der an seinem linken Hosenbein nagt. Nun, auch der Narr scheint sich nicht an ihm zu stören, er beachtet ihn gar nicht weiter. Sein Blick geht mit weit geöffneten Augen nach vorn. Der Tiger ist ein Begleiter des Gottes Dionysos. Auf einem Tiger reitend soll er den Tigris überquert haben. In einer anderen Geschichte wollten tyrannische Seeräuber Dionysos nach Asien entführen, woraufhin dieser Trugbilder von Tiger und Panther entstehen ließ. Die Seeleute wandelten sich vor Schreck in Delphine und sprangen ins Wasser. Was aber soll uns der nagende Tiger sagen: Mache zum Freund, wen du fürchtest? Oder auch: Zeige keine Furcht, egal was an dir nagt?
Was Aleister Crowley selbst zum Narren sagt⁴
Crowley orndet den Narren der Null zu und dem Element Luft. Der Narr entspricht entweder der Luft oder aber dem Vakuum. Er birgt das männliche Element des Feuers, das weibliche Element des Wassers, das Schwert der Luft und die Scheiben der Erde. Der Narr ist der Große Herr der Kelten, der Dalua oder eben der Dionysos, Bacchus wie ihn die Römer nennen. Er ist Dionysos Vater Zeus oder auch der Baphomet.
Der Narr entfacht das spirituelle Denken, die Spiritualität selbst und die Kraft der Ideen. Crowley nennt es „das, was danach trachtet die Erde zu transzendieren.“ Also sprich: Die Bereiche des Vorstellbaren überschreitet.
Materiell sieht Crowley in dem Narren eine Warnung für diejenigen, die nicht gut aufgestellt sind. Mögen sie vor weiterer Narrheit gefeit sein. Das falsche Streben nach materiellen Werten kann in den Wahnsinn führen.
Das Wesentliche der Karte liegt darin, dass der Narr einen ursprünglichen, plötzlichen Impuls setzt, in einem vollkommen fremdartigen Bereich etwas neu zu erschaffen.
Er sagt: „All diese Impulse haben ihre Berechtigung, wenn sie in geeigneter Weise empfangen werden. Allein die Einstellung des Fragenden ist ausschlaggebend für eine gute oder schlechte Interpretation.“ Sprich: Du bekommst, was du erwartest.
Ist der Narr in dir erwacht?
Ist es nicht eine durch und durch wundervolle Karte? Ich hoffe, es ist mir gelungen, die Energie dieser Karte auch nur ansatzweise zu verdeutlichen. In ihr liegt all unsere energetische Essenz, wir selbst können alles erschaffen, frei von allen Fesseln – ganz nackt. Ziehst du den Narren, so nutze deine schöpferische Power!
Staune über einfach alles in dieser Welt. Erinnere dich stets an deine innere Quelle des Wissens. Nutze all deine Phantasie. Nur wer in der Lage ist, sich aus dem Nichts heraus das Großartigste vorzustellen, kann es auch erschaffen. Begib dich mit der Neugier eines Kindes in neue Welten.
Oft heißt es: Sei doch kein Narr.
Ich sage: Doch, bitte sei ein Narr, sei so sehr ein Narr, wie du es nur sein kannst.
¹Wikipedia, o.V.: Narr. Hofnarren im Mittelalter und früher Neuzeit. (Stand 01.12.2020, 16:14). https://de.wikipedia.org/wiki/Narr#Hofnarren_im_Mittelalter_und_fr%C3%BCher_Neuzeit.[05.02.2021]
²Angeles Arrien (2001), Handbuch Crowley Tarot: Praxisbezogene Anleitung zur Interpretation des Aleister Crowley Tarots (4. Aufl.).Neuhausen/Schweiz Urania Verlags AG. [online: http://rkspiele.de/wordpress/wp-content/uploads/2015/04/Tarot-Hanbuch.pdf. [Stand 05.02.2021]]
³docplayer.org: Gerd Ziegler. Tarot: Spiegel der Seele. Handbuch zum Crowley-Tarot. (Stand unbekannt). http://docplayer.org/12116343-Gerd-ziegler-tarot-spiegel-der-seele-handbuch-zum-crowley-tarot.html. [05.02.2021]
⁴Aleister Crowley (2019), Toth Tarot: Originalausgabe (2. Aufl.).Krummwisch AGM-Urania.