Der Wagen im Tarot ist eine neue Station des Narren auf seiner Lebensreise. Die Liebenden haben ihn dazu ermuntert, eine Entscheidung zu fällen und nun ist es an der Zeit, alles dafür zu tun, dass die Zügel in die Hand genommen werden können und das Leben in die richtige Richtung gelenkt wird.
Der Kreislauf des Lebens
Alles Leben auf diesem Planeten unterliegt einem regelmäßigen Kreislauf. Das Jahresrad dreht sich in ewig währender Harmonie. Wir Menschen selbst sind es, die für ein Ungleichgewicht in unserem Erleben sorgen. Wir entscheiden, wohin unsere Lebensreise geht und nicht selten verlieren wir uns oder landen in unbefahrbarem Gelände – müssen wir umkehren.
Manchmal versuchen wir, dem zu trotzen und schieben unseren Wagen zur Not stur immer weiter über große Steine hinweg – bis uns irgendwann die Kraft ausgeht. Manchmal setzen wir uns einfach auf den Beifahrersitz und lassen Andere den Wagen lenken und wundern uns, wenn wir unserem eigenen Ziel gar nicht näher kommen. Dann wird es Zeit, die Zügel wieder selbst in die Hand zu nehmen.
Hast du die Tarotkarte „Der Wagen“ schon einmal ganz genau angeschaut? Was sehen wir in den meisten Decks? Einen rollenden Wagen, der schnell oder langsam seines Weges fährt? Nein. Wir sehen oftmals einen in Stille versunkenen Wagenlenker, der keine Zügel in der Hand hält, sondern zu meditieren scheint. Ist der Wagen also die Reise selbst oder ist diese Karte vielmehr die Vorbereitung der Reise?
Die Kraft der Sommersonnenwende
Das Tierkreiszeichen Krebs ist dem Wagen zugeordnet, sein Element – das Wasser. Das Zeichen des Krebses erwacht zur Sommersonnenwende. Zu dieser Zeit wird aus dem Frühling der Sommer. Die Sommersonnenwende ist die Schwelle zur Fülle. Sie ist die wilde Atempause zwischen Saat und Ernte. Aus einer Zeit des Erblühens entsteht die Fülle. Das Licht siegt über die Dunkelheit. Sol, die Sonne der nordischen Mythologie, lenkt ihren Sonnenwagen hoch hinaus, höher als zu allen anderen Zeiten des Jahres.
Alle Kräfte werden nun gebündelt. Die Welt erreicht die Stufen höchster Harmonie. Keine Sorgen, kein Hunger – alles ist prall mit Leben gefüllt. Wir gehen in den Tag hinaus und wissen, was wir wollen. Auf der Schwelle der Sommersonnenwende lernen wir, wohin wir unseren Wagen lenken möchten.
Wir übernehmen Verantwortung für unser Handeln, haben gelernt, wie wir die Zügel unseres eigenen Lebens halten müssen. Das Leben ist Wandel, kein Stillstand. Es geht weiter, immer weiter.
… doch nicht einfach so drauf los
Natürlich können wir Hals über Kopf auf einen Wagen aufspringen und einfach losfahren, aber erfahrungsgemäß endet das meistens nicht gut und ist nicht selten eine Flucht nach vorne. Entschlossenheit ist wunderbar. Sich nach vorne zu bewegen ist wunderbar. Nur um voran zu kommen, braucht es den richtigen Schwung. Auf der Reise soll wirklich alles rund laufen, auf eckigen Rädern fährt es sich schlecht.
Der Wagen ist einsatzbereit, aber bist du es auch? Es ist gut, sein Ziel zu definieren, dem Leben eine Vision zu schenken. Wir können einen roten Faden ersinnen, der uns hilft, den Kurs zu halten. Welche Hindernisse wohl auf uns warten werden und wie können wir sie überwinden? Wie kann ich mich auf meinem Weg wirklich bereichern lassen? Ist der Wagen leicht zu lenken oder habe ich mir ein zu schwerfälliges Modell ausgesucht?
Losgehen und die Welt erobern ist toll. Die Reise durch das Leben ist unglaublich spannend. Wir sammeln Erfahrungen und das geht nur, wenn wir uns bewegen, wenn der Wagen rollt. Es ist eine Lebensreise durch äußere Welten, vor allem aber ist es auch eine Reise in unser inneres Selbst. An diesem Ort finden wir die wahren Schätze. Es ist wichtig, wie der Wagenlenker auf der Tarotkarte, innezuhalten und zu versinken, die eigene Innenwelt zu erforschen und die eigenen Gefühle zu ergründen.
So stärken wir unsere eigene Macht und lernen, die Zügel in der Hand zu halten. Der Wagen lässt sich mit einem fokussierten Geist viel besser kontrollieren und durch jedes Terrain des Lebens manövrieren, egal wie uneben es auch sein mag.
Der Wagen des Triumphes
Die Tarotkarte „Der Wagen“ wird auch oft als „Der Triumphwagen“ bezeichnet. Es finden sich aber auch die Namen:
- der Wagenlenker
- der Siegeswagen
- der siegreiche König
Die Reise durch das Tarot hat als Narr begonnen und wird als Narr enden. Mit dem Wagen sind wir auf der siebenten Einweihungsstufe der eigenen Entwicklung angekommen.
Auf unserer vorherigen Reise haben wir bereits einige Triumphe feiern dürfen. Die Symbolik des Triumphwagens geht kulturell sehr weit zurück.
Shiva, einer der Hauptgötter des Hinduismus, vermählte sich mit Kali, der Göttin der Zerstörung, aber auch der Erneuerung. Durch diese Vereinigung wurde Shiva zum Jagannata, zum „Herrn der Welt“. Diese Welt stellten sich die Menschen als einen großen Triumphwagen vor, der auf den Spuren der Zeit rollt.¹
Barbara G. Walker sagt dazu, dass auf jeden Höhepunkt der Macht, unweigerlich der Untergang folgt – der ewige Kreislauf des Lebens.
Im alten Rom war es üblich, dass die Helden auf einem Triumphwagen durch die Stadt fuhren. Ihnen zur Seite stand die Figur des Todes, die dem Helden zuflüsterte: „Vergiss nicht, dass du sterblich bist.“ Wenn du mich fragst, ist dies ein weiser Rat.
Im Phaidron, einem Werk des griechischen Philosophen Platon, ist von der menschlichen Seele die Rede, die dort als der Wagenlenker bezeichnet wird. Himmlische Wagenlenker (Seelen) ritten durch die Himmlischen Winde, bis sie den geflügelten Wagen verloren und auf der Erde landeten. Gefangen im Körper, sind sie dort als Menschen auferstanden. Ist die irdische Seele stark genug, so steigt sie wieder in das Himmlische auf.
Der Gedanke ist auch den östlichen Landen nicht fremd. Die dortigen Philosophen bezeichneten die Seele oft als Wagenlenker des Körpers und die sinnlichen Begierden als dessen Zugpferde. Es heißt: Wer die Sinne kontrolliert, der kontrolliert die Seele und kann den Wagen lenken.
Ich erwähnte eingangs bereits, dass der Wagenlenker auf der Tarotkarte oft als ein Mensch dargestellt wird, der keinerlei Zügel in der Hand hält. Er steht einfach nur da. Dies könnte auch so interpretiert werden, dass wir letztendlich das eigene Schicksal nicht selbst in der Hand haben, sondern den Lebensteppich so nehmen müssen, wie ihn uns die drei Nornen webten.
Der Wagen im Rider Waite Tarot
Die Gestalt auf der Karte erinnert an einen Prinzen. Die Person steht aufrecht, mit einem gezogenen Schwert. Auf seinen Schultern thronen Urim und Thummin, Orakel-Steine des Hohepriesters. Waite sagt, der Wagenlenker überwindet alle Ebenen: die Ebene des Verstandes, der Wissenschaft, des Fortschritts und die Initiationsprüfungen.
Der Wagen wird von zwei Sphinxen gezogen und so kann der Prinz selbst wohl als eine Erwiderung der Sphinx gesehen werden. Er repräsentiert den Triumph auf der Ebene des Verstandes.
Waite sagt: „In dieser Beziehung sollte wohlverstanden werden, dass a) die Frage der Sphinx mit dem Mysterium der Natur im Zusammenhang steht und nicht mit der Welt der Gnade, auf die der Wagenführer keine Antwort geben könnte; b) dass die von ihm überwundenen Ebenen der äußeren Erscheinungswelt angehören und nicht in ihm selbst zu finden sind.“
Weiter führt er fort, dass der Prinz sehr wohl noch immer an den, an die Vernunft gebundenen, Verstand gefesselt sein kann. Alles was er bisher erfolgreich durch Initiationsriten abgeschlossen hat, lag auf der Ebene der Vernunft und der wahrnehmbaren Sinne. Sollte der Prinz zu den Säulen des Tempels gelangen, zwischen denen die Hohepriesterin thront, so könnte er weder die Schriftrolle (die Tora) öffnen, noch könnte er ihre Fragen beantworten.
Die Reise des Narren ist noch lange nicht zu Ende, aber sie ist dabei, in eine neue Ebene aufzusteigen.
Der Wagen im Aleister Crowley Thoth-Tarot
Bei Crowley wird der Wagen von vier Sphinxen gezogen, dargestellt durch Löwe, Adler, Stier und Mensch. Die Sphinxen haben Köpfe und Körper untereinander getauscht, sie stützen sich gegenseitig.
Crowley sagt, sein Wagenlenker habe die Aufgabe „den heiligen Gral zu tragen, in dessen Mitte sich leuchtendes Blut befindet, das die Anwesenheit des Lichtes in der Dunkelheit symbolisiert.“ Da wären wir wieder in der Symbolik der Sommersonnenwende angekommen, wie auch in der Fülle des Sommers.
Seine Karte stehe für den Triumph, den Sieg, die Hoffnung, die Erinnerung (an alles, was schon erreicht wurde). Er nennt den Wagenlenker aber auch den ewig Gestrigen und assoziiert sein Wesen mit Unbarmherzigkeit. Dies könnte darauf hindeuten, dass der Wagenlenker es noch nicht gelernt hat, die irdischen Muster zu durchbrechen und stets auf sie zurückgreift, ohne die wahre Größe des Geistes zu erkennen.
Der Wagenlenker trägt eine goldene Rüstung und ist in tief meditativer Haltung versunken. Die Rüstung zeigt, dass er für alles was kommt bereit ist und doch zeigt sie auch das ewig Gestrige, den Wunsch in die Schlacht zu ziehen. Er wird lernen müssen, dass nicht alles auf einem Schlachtfeld zu gewinnen ist. Die Versunkenheit zeigt, dass er seine Kräfte bündelt und sich mental ganz und gar auf sein kommendes Ziel ausrichtet. Die Rüstung kann aber auch als Schutz für die bevorstehende Reise betrachtet werden. In diesem Fall sagt dir die Karte auch, sorge dich nicht – dein Pfad ist behütet.
Auf der Rüstung sind zehn Kristalle. Sie können für all die klaren Entscheidungen stehen, die bereits getroffen wurden und uns an diese Station des Lebens gebracht haben, die eigenen Initiationsriten, die wir durchlaufen haben.
Auf der Höhe des Kronenchakras, der Kether, trägt der Wagenlenker als Helmschmuck den Krebs. Dies deutet auf die Bereitschaft hin, sich auf seinem Weg führen zu lassen. Die Herrscherin über den Krebs ist die Göttin des Mondes, stets bereit zu empfangen. Während der Zwilling der Liebenden noch ordnete und analysierte, steht der Krebs für die Welt der Emotionen. Der Krebs ist bereit, bewusst zu fühlen, aber er geht noch nicht in Aktion (Löwe). Achte also mit dieser Karte auch immer auf all die Botschaften, die aus deinem Unterbewusstsein auftauchen. Sie können in der Meditation oder auch in Träumen zu dir finden. Es ist an dir, nun innere Kraft und Stärke zu erlangen. Gelingt dir dies, so bist du bereit, dich in Bewegung zu setzen.
Der Heilige Gral auf der Karte symbolisiert die Suche, die tiefe Sehnsucht nach Erfüllung. Die roten Räder des Wagens bezeugen die Willenskraft. Sie stehen auf einem goldenen Pflaster, der Königsweg liegt vor dir ausgebreitet. Bist du bereit, ihn zu gehen?
Auf dem Wagen selbst thront auf vier Säulen ein blauer Baldachin, der mit Sternen verziert ist. Die Säulen der Erde tragen das Himmelszelt. Im Hintergrund der Karte sind helle Kreise zu sehen, die für eine gewisse Dynamik stehen und die Kraft der Sonne symbolisieren könnten.
Insgesamt eine sehr kraftvolle Karte mit einem starken Ruhepol.
Es gilt, sich auf das eigene Ziel auszurichten. Dies geht nun einmal am besten, wenn wir uns in einer tiefen, inneren Ruhe befinden. Kommen wir also zur Besinnung. „Was wollen wir?“, ist die Frage, die wir uns stellen dürfen, ehe wir uns auf den Weg machen.
Der Weg wird kommen, die vier Sphinxen warten nur auf dein Startsignal. Zuerst aber soll sich dein Unbewusstes manifestieren, damit du bewusst entscheiden kannst. Die Sphinxen kennen den Weg noch nicht. Dies ist auch daran zu erkennen, dass sie in verschiedene Richtungen blicken. Sie schauen nach vorne, nach links und nach rechts – aber, sie schauen auch nicht mehr zurück, denn an diesem Punkt angelangt, sollte es kein Zurück mehr geben.
Der Wagen sagt: Denke nach, gehe in die Stille. Mache dir alle Konsequenzen deiner Handlungen bewusst, ehe du deine weitere Reise antrittst. Die Karte zeigt dir ganz klar einen bevorstehenden Neuanfang, vielleicht einen neuen Lebensabschnitt, vielleicht eine innere Entwicklung deines Wesens, vielleicht aber auch „nur“ eine bevorstehende Reise. Finde die Antwort in dir.
Quellen:
¹Walker, Barbara G. (1994), Die Geheimnisse des Tarot – Mythen, Geschichte und Symbolik: Sonderausgabe. Gondrom Verlag.
Crowley, Aleister (2019), Toth Tarot: Originalausgabe (2. Aufl.).Krummwisch AGM-Urania.
Waite, Arthur Edward (01. Januar 1978), Der Bilderschlüssel zum Tarot: Erste Auflage, Urania.
Angeles Arrien (2001), Handbuch Crowley Tarot: Praxisbezogene Anleitung zur Interpretation des Aleister Crowley Tarots (4. Aufl.).Neuhausen/Schweiz Urania Verlags AG. [online: http://rkspiele.de/wordpress/wp-content/uploads/2015/04/Tarot-Hanbuch.pdf. [Stand 13.04.2021]]
docplayer.org: Gerd Ziegler. Tarot: Spiegel der Seele. Handbuch zum Crowley-Tarot. (Stand unbekannt). http://docplayer.org/12116343-Gerd-ziegler-tarot-spiegel-der-seele-handbuch-zum-crowley-tarot.html. [13.04.2021]