Bei Waite ist die elfte Station des Narren die Gerechtigkeit, bei Crowley die Lust, einst die Karte der Stärke. Ich wende mich in diesem Artikel der Gerechtigkeit zu.
Gerechtigkeit ist ein großes Wort. Ein Begriff, der von vielen Seiten aus betrachtet werden kann und auch betrachtet wird. In ihm steckt das Wort Recht – Recht haben, Recht sprechen, Recht bekommen, recht(schaffend) sein. Ein Begriff, welcher in seiner Auslegung sehr weite Wege zurücklegen kann. Was dem Einen Recht ist, geht dem Anderen vielleicht viel zu weit. Sich Rechte herausnehmen, kann andere Menschen in deren Rechte beschränken. Vielleicht aber finden wir ja eine gemeinsame, eine tiefere Ebene der Gerechtigkeit.
Die Gerechtigkeit im Tarot
Diese Karte ist dem Element der Luft zugeordnet sowie dem Sternzeichen Waage, wobei mir direkt die Waagschale in den Sinn kommt.
(Nicht) Jedes Wort auf die Goldwaage legen.
Diese Redewendung geht auf eine Übersetzung durch Martin Luther zurück. Er sagte, die Menschen sollen nicht nur das Gold ganz genau abwiegen, sondern auch alles, was sie sagen.
Du wägest dein Gold und Silber ein, warum wägest du nicht auf deine Worte auf der Goldwaage?“
Luther hat diesen Satz aus einem der Bücher Sirachs aus dem 16. Jahrhundert ins Deutsche übernommen.
Es ist ein schmaler Grad zwischen zu viel und zu wenig sagen. Gesagte Wörter sind mächtige Waffen, sie können vernichten – sie können heilen. In vielen Situation wäre es wünschenswert, wenn wir abwägen würden, was unsere Lippen verlässt – denn einmal gesagt, kann es nicht zurück. Es wäre aber ebenso fatal, jedes einzelne Wort genau zu überlegen und vieles aus Angst unerwähnt zu lassen. Ist der Maßstab für die Wahl unserer Worte an unserem Sinn für Gerechtigkeit anzulegen?
Zwischen zwei Säulen
Mit dieser Frage wandeln wir zwischen zwei Säulen, wie auch Justitia auf der Karte „Die Gerechtigkeit“ zwischen zwei Säulen sitzt. In der linken hält sie die Waagschale, in der Rechten ein zweischneidiges Schwert – ein Schwanken zwischen abwägen und richten?
Die Waage ist auf der Suche nach Balance, nach Ausgewogenheit.
Alles was wir im Leben auch tun, es führt zu Konsequenzen. Da spielt es erstmal keine Rolle, ob wir gute Taten vollbringen oder nicht. Unser Anspruch ist jedoch zumeist „dem Recht Genüge zu tun“. Was aber sind gute Taten? Handlungen, die weise und respektvoll sind? Können wir sie am Grad unseres Mitgefühls messen? Müssen wir uns nach ethischen, moralisch korrekten Werten richten? Sind wir dann gut? Gibt es nicht auch Situationen, in denen wir aus der Norm ausbrechen müssen, damit wieder Gutes geschieht oder sind unsere Taten dann automatisch schlecht?
Die Säulen der Justitia, wie im Übrigen auch die Säulen der Hohepriesterin, betonen die moralische Verpflichtung den uralten Regeln des Miteinanders, des Respekts, der Achtung und Wertschätzung zu folgen. Sie sind auf der Karte als eine Anbindung an das „göttliche“ Gebot gedacht.
Die kosmische Gerechtigkeit
So ist Justitia nicht nur eine mahnende Repräsentantin für Gerechtigkeit, sondern ebenso eine Hüterin des kosmischen Gleichgewichts, so wie die Hohepriesterin eine Hüterin des kosmischen Wissens ist.
Jede Handlung führt zu einem Ausgleich, so wie in der Physik Energie nie verloren geht, sondern sich stets wandelt. Justitia trägt das Schwert, aber sie trägt es nicht, um zu richten. Sie urteilt nicht. Sie zeigt lediglich, dass das Leben selbst urteilen wird. Das Recht wird obsiegen – und wieder bleibt die Frage, was ist Recht, wann beginnt Unrecht?
Botschaften der Karte
Die Gerechtigkeit ermahnt uns, rechtschaffen zu handeln. Sie kann dir zeigen, dass du etwas überdenken sollst, abwägen sollst -prüfen sollst, ob du wirklich recht handelst. Die Karte kann dir aber auch zeigen, dass jemand über dich urteilt.
Die Karte fordert auf, in die Verantwortung zu gehen, die Harmonie der inneren Rechtschaffenheit in Balance zu halten. Es ist möglich, dass eine Entscheidung ins Haus steht, wo du wirklich gut abwägen solltest, was richtig für dich ist und wie du gerecht wirken kannst.
Kann eine Balance nur hergestellt werden, wenn wir Kompromissen eingehen, so sollten wir uns vor dieser Option nicht verschließen, sondern auch da ganz genau abwägen.
Im Kern bedeutet dies: All dein Handeln steht dir frei, aber bedenke immer die Konsequenzen und sei bereit sie zu tragen.
Die Gerechtigkeit kann auch eine Einladung an dich sein, einfach mal zu schauen, an welchen Punkten dein Leben vielleicht aus der Balance geraten ist. Das erfordert Mut und den Willen, sich selbst gegenüber absolut ehrlich zu sein. Vielleicht lastet eine alte Schuld auf dir, die nun abgetragen werden kann?
Welche Taten liegen hinter dir? Waren wir wirklich im Recht oder haben wir uns selbst zum Richter erkoren? Justitia schaut uns direkt an, als würde sie unser Herz durchdringen wollen – halten wir dem Blick stand, ist unser Gewissen rein?
Gibt es da einen wunden Punkt, so bedenke: Am Ende holt uns die Wahrheit immer ein. Es ist weise, Größe zu zeigen und ihr entgegen zu gehen.