In den meisten Tarot Decks ist „Die Kraft“ die achte Karte der Großen Arkana. Aleister Crowley hat für die Energie dieser Karte die Beschreibung „Die Ausgleichung“ gewählt und auf diese Weise die Essenz der Tarotkarte auf eine wunderbare Weise dargestellt. Folge gerne der Verlinkung, um den Spirit der Karte anhand von Crowleys Interpretation noch besser zu erfassen.
Hier und jetzt jedoch wenden wir uns der gängigen Variante zu: Die Kraft, also die achte Station des Narren auf seiner Reise durch das Tarot.
Die Kraft im Rider-Waite Tarot
Beginnen wir mit einer Betrachtung des wohl bekanntesten Tarot Decks, dem Rider-Waite Tarot. Dieses Deck ist aufgrund seiner leicht verständlichen, da recht eindeutigen Bildsprache auch für Neulinge der Kartendeutung perfekt geeignet, so dass es gerne zum Einstieg in die Welt des Tarots verwendet wird.
Wir sehen auf der Karte eine mit Blumen geschmückte Frau, die vornübergebeugt mit ihren Händen das Maul eines Löwen schließt. Über ihrem Kopf schwebt das Symbol der Unendlichkeit, auf welches ich im Artikel zur Zahl Acht näher eingegangen bin.
→ Zahlenmystik 8 – Die Acht, die Zahl der ewigen Wandlung
Die über dem Kopf schwebende, in sich ruhende Acht, die sogenannte Tatortes, kennen wir bereits von einer sehr frühen Karte der Großen Arkana, von der Karte des Magiers.
Der Magier ist die allererste Station des Narren auf seiner Lebensreise. Der Narr selbst ist wie ein leeres Gefäß, bereit mit allen Möglichkeiten des Lebens gefüllt zu werden. Beim Magier angekommen, nutzt er dessen Kraft, um den ersten Dingen eine Gestalt zu geben. Die schöpferische Geburt des eigenen Lebensweges beginnt, wandelt sich in eine allererste Form.
Nun, sieben Stationen weiter auf der Narrenreise treffen wir auf eine andere Art der Schöpferkraft, die nicht mehr im Außen wirkt, sondern einer inneren Kraft entspringt.
Lassen wir Arthur Edward Waite selbst zu Wort kommen, denn wer könnte es wohl besser beschreiben:
„Diese Karte hat nichts mit dem Selbstvertrauen im gewöhnlichen Sinne zu tun, […] sondern sie stellt das Vertrauen jener Menschen dar, deren Stärke in Gott ruht, und die in ihm ihre Zuflucht gefunden haben.“
Diese Aussage von Waite verbindet die Acht seines Kartendecks mit der achten Karte im Aleister Crowley Tarot, deren abgebildete Frau die Ausgleichung symbolisiert. Sie balanciert tief in sich ruhend auf der Spitze des Schwertes der Gerechtigkeit und diese tiefe, in ihr ruhende Kraft ermöglicht es, alles in Balance zu halten – wodurch zugleich der Unterschied zwischen der achten Tarotkarte bei Aleister Crowley und Arthur Edward Waite deutlich wird.
Die, ich nenne es mal bewusst ausgleichende Kraft der Crowley Figur ruht in ihr, nicht in Gott. Als Heidenkind würde ich Gott eher als „göttliche“, kosmische Kraft sehen und in diesem Zusammenhang eher sagen, dass es „Gott“ in uns selbst zu erkennen gilt. Nicht wir ruhen in der Stärke Gottes, sondern die kosmische Energie lebt, atmet und existiert in uns. Wir müssen das Göttliche nicht im Außen suchen, wir sind das Göttliche.
Kommen wir zurück zu Arthur Edward Waite, der im Weiteren sagt:
„Von einem bestimmten Gesichtspunkt aus betrachtet symbolisiert der Löwe die Leidenschaften, und sie, die Stärke genannt, ist die höhere Natur in ihrer befreienden Funktion.“
Da wird der Unterschied noch einmal deutlicher. Ich weiß nicht, wie du es fühlst, aber ich suche die höhere Natur schon lange nicht mehr im Außen, ich spüre die Kraft in mir. Wir alle sind kosmisch oder göttlich, wie auch immer wir es ausdrücken möchten, auch du. Wir bestehen aus Partikeln, die eine weitere Reise hinter sich haben, als die Milchstraße, unser Galaktisches Zentrum entfernt ist. Wir sind göttliche Wesen aus Sternenstaub. Jedes Atom unseres Körpers war einmal Teil eines Sterns.¹ Schaue dir dazu gerne das interessante Video an, welches ich unter dem Artikel verlinkt habe.
Die Kraft im Tarot und ihre Deutung
Die Kraft entspricht dem Element Feuer, das Symbol der Tarotkarte ist ganz klar der Löwe. Es dreht sich im Wesentlichen um Energie und um das eigene Selbstvertrauen.
Die Karte fordert dich auf, deine eigene Kraft zu spüren, sie wieder zurückzugewinnen, die eigene innere Stärke wiederzuerlangen. Es gilt mutig zu sein, nur so können wir den Löwen bändigen. Es geht nicht darum, sich über den Löwen zu stellen oder ihn zu besiegen. Einzig und allein die eigene Kraft bewusst einzusetzen und zu kontrollieren ist von Interesse. Dies gilt vor allem für Situationen des eigenen Lebens, wo es gerade nicht so rosig läuft, es eher unangenehm rumpelt und holpert, als dass es wirklich rund läuft. Es wird Zeit, dem unbändigen Löwen in dir einfach mal mit aller Geduld und Liebe den wilden Schlund zu schließen.
Manchmal wird auch dargestellt, wie die Frau das an sich ja gefährliche Maul des Löwen in aller Ruhe und mit Anmut in der eigenen Handlung nicht zusammen, sondern auseinanderreißt. Letztendlich spielt es keine wirkliche Rolle. In beiden Fällen erhält sie die Kontrolle über die wilde Natur. Sie erkennt den eigenen Mut und zähmt die ihr innewohnende Angst. Du kannst den Löwen also als einen Aspekt deines Selbst ansehen, als einen Teil von dir, der aus dem Lot gekommen ist.
Die Blumen auf der Karte stellen ihre tiefe Verbundenheit zur Natur dar, in welcher wir selbst zur eigenen Kraft und Ruhe finden können. Die liegende Acht über dem Kopf unterstreicht das schöpferische Potential dieser Natur und erinnert daran, dass wir es sind, die das eigene Leben gestalten. Die Lemniskate erinnert auch daran, dass sich stets alles wandelt und nichts bleibt, wie es war. In dieser Tatsache liegt eine enorme Kraft verborgen, die du erkennst, wenn du es dir wirklich vor Augen führst. Alles geht einmal vorbei, jeder Tag ist eine neue Chance. Jeder Augenblick ist eine neue Chance.
Die Anmut des Körpers der Protagonistin auf der Karte zeigt, dass der Schlüssel zur Kraft (und somit in gewissem Sinne auch zur Macht) in der Ruhe und in der liebevollen Hingabe liegt. Es geht hier nicht um ein gewaltsames Vorankommen, sondern um liebevolles Agieren, um Geduld, beruhigende Sanftmut. Dieser sanfte Akt der Zähmung erfordert eine hohe Konzentration und ein komplettes Loslassen zugleich, eine absolut bewusste Gegenwärtigkeit. Sie ist ganz und gar auf ihr Ziel konzentriert, den Wunsch, das Wilde zu zähmen.
Ihre Botschaften sind einfach und klar:
- Übe dich in Gelassenheit.
- Sei geduldig.
- Sei ausdauernd.
Hast du diese Karte gezogen, so werde ganz still. Höre auf, nach vorne zu preschen. Versuche nicht, dich mit angewinkelten Ellenbogen durchzusetzen. Atme tief ein und spüre die Kraft des Seins, atme tief aus und gib dich dem Leben vollkommen hin.
Du hast schon sehr viele Erfahrungen in deinem Leben gesammelt, nun ist es an der Zeit, aus all diesen gesammelten Schätzen zu lernen. Es ist Zeit, in die eigene Kraft zu kommen und aus dieser heraus eine eigene, natürliche Dominanz zu entwickeln, der absolut nichts negatives anhaftet.
Verbinde dich auf spielerische Weise ganz harmonisch mit der Natur und den Elementen. Du hast, wie der Narr beim Besuch des Magiers, die Fähigkeit, die Elemente vollumfänglich zu nutzen. Du hast die innere Kraft, dir dein Leben zu erschaffen und aus der Fülle aller kosmischen Energien zu schöpfen.
Die Tarotkarte macht es ganz deutlich:
Du allein hast die Macht, die Erfahrung, die Liebe und das Können, dein Leben zu meistern. Vertraue darauf, dass du den wilden Löwen in dir bändigen kannst. Vertrau dir selbst in allen Bereichen deines Daseins. Die Kraft ist da, sie ruht in deinem Inneren und wartet auf dein Erwachen. Werde dich ihrer bewusst. Suche diese Kraft, diese Stärke in dir. Spüre in deine Seele hinein und finde den Ort in dir, an dem du völlig frei all deine Kraft fließen lassen kannst.
Suche nicht länger im Außen, du bist dir selbst genug und du findest in dir alles, was du brauchst. Vertraue deiner eigenen Stärke, so findest du:
Mut
Gelassenheit
Mitgefühl
Geduld
Überzeugungskraft
Willenskraft
Kontrolle
Bündel alle diese Wesensarten und richte deine Kraft zielgerichtet aus. Es geht darum, Größe zu zeigen – nicht kleinlich, wütend oder ängstlich sollst du agieren, sondern stets deine Selbstbeherrschung erhalten. Um diesen Weg zu beschreiten, ist es nötig, die destruktiven Muster zu erkennen und zu lernen, diese zu zügeln – das Wilde zu zähmen.
Vertraue darauf, dass du es schaffen kannst.
Bei der Karte geht es also mitnichten um eine zerstörerische, wütende Ausübung von Macht. Es geht um die Kraft, die Stärke eines Bambus-Holzes, der so viele Meter hoch wachsen kann, sich im Sturme sanft im Winde wiegt und nicht zerbricht. Es gilt diese Kraft zu finden, die Kraft der Sanftmut.
Der Löwe wird nicht verletzt, sondern als Wesen erkannt, in Liebe angenommen und gezähmt. Dieses Bild symbolisiert die Zähmung deiner inneren Schatten. Es hilft, wenn du dich zuerst einmal fragst, was die Kraft überhaupt für dich ist. Was macht die Kraft aus? Was ist Stärke für dich?
Den wilden Löwen zähmen – die inneren Schatten nicht verbannen. Öffne dich deinen Schatten – nicht um sie zu eliminieren, sondern um sie liebevoll zu betrachten und sanft zu beherrschen. Verwandle deine Schatten in Kraft. Zapfe diese tief verborgenen Energien an, finde die Quelle deiner natürlichen Stärke. Du kannst die Schatten in Kraft wandeln, wenn du sie akzeptierst, respektierst und liebevoll annimmst. Uns kann nur zerstören, was wir im Inneren ablehnen. Was wir als einen Teil von uns lieben und annehmen, hat nicht die Macht dazu – es wird uns stärken und schützen.
Das kann ein sehr leichter Weg sein, aber auch ein steiniger. Habe Geduld und gib nicht auf, so wie die Frau auf der Karte mit viel Geduld letztendlich das Maul des Löwen schließt und beide ihren Frieden finden.
Unsere dunklen Anteile zu zähmen ist ein Prozess und du wirst mit dieser Karte bereit sein, diesen Prozess erfolgreich zum Abschluss zu bringen.
Quellen/weiterführende Links:
¹) Wir sind Sternenstaub: https://www.ardmediathek.de/video/odysso-wissen-im-swr/wir-sind-sternenstaub/swr-fernsehen/Y3JpZDovL3N3ci5kZS8xODI5OTYwMA/
Waite, Arthur Edward (01. Januar 1978), Der Bilderschlüssel zum Tarot: Erste Auflage, Urania.