Das Thema Selbstliebe spaltet so ein wenig die Gemüter. Auf der einen Seite wird es gefeiert, auf der anderen Seite können und wollen sie es einfach nicht mehr hören. Ich habe lange Zeit ein Leben ohne Selbstliebe geführt und war mir dessen nicht einmal bewusst. Es ist ein wenig so wie mit der Liebe zu einem anderen Menschen. Das wahre Gefühl echter Liebe wird erst erkannt, wenn es wirklich da ist.
Eines Tages spürte ich, wie mein Herz ganz weit wurde. Es fühlte sich an, als würde ich in meinen eigenen Armen liegen – warm, geborgen und einfach wundervoll. Ich wusste, all mein bisheriger Glaube, dass ich mich lieben würde, war ein Irrtum, denn nun hatte ich, ohne zu suchen, den wahren Kern gefunden und ihn seither auch nicht wieder verloren.
Dieser Wendepunkt, ja so möchte ich es nennen, hat in der Tat meine Beziehungen zu anderen Menschen verändert. So wie ich mich selbst plötzlich im Ganzen annehmen konnte, war es mir möglich, auch mein Gegenüber anzunehmen. Es ist eine ungewohnte Art der Liebe jedem einzelnen Menschen gegenüber.
Ich kann so ziemlich alles an einem anderen Menschen ätzend und doof finden, um es mal auf den Punkt zu bringen. Die Art kann mich nerven, was gesagt wird, kann mir die Nackenhaare zu Berge stehen lassen, das Handeln, kann mich abstoßen. Und doch ist seither eine tiefe Ruhe in mir, die keiner dieser Menschen, die nicht zu meinen Werten passen, jetzt noch großartig stören. Da gibt es diese Wärme mir selbst gegenüber, die den Anderen mit einbezieht. Weil ich es mir wert bin, kann ein Wesen im Außen meinen Frieden nicht ins Wanken bringen.
Seither lasse ich wirklich jeden Menschen so wie er ist, verlange dies aber auch im Gegenzug. Mit der Selbstliebe erwachte auch das unbedingte Wissen um den Selbstwert, der sich nicht mehr manipulieren lässt, nur um zu gefallen.
Eigenliebe ist der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft.
-Oscar Wilde-
Die Selbstliebe der Kinder
Der Same der Selbstliebe kommt in vielen Kinderherzen zu kurz.
Im Laufe unseres Lebens werden wir in vielen Dingen unterrichtet. Wir lernen, wie wir mit Messer und Gabel essen, wann wir Bitte und Danke sagen sollen, wie wir unser Taschengeld ausrechnen und vielerlei andere nützliche (sowie weniger nützliche) Dinge.
Früh lernen wir, dass unser Verhalten, unser Sein in die Kategorien schlecht und gut eingeteilt wird. Unsere Eltern erklären uns, wieso wir nicht in der guten Sonntagskleidung durch Pfützen hüpfen dürfen. Sie erklären uns, warum es falsch ist, sich Kaugummi in die Haare zu kleben und wieso wir beim Essen nicht schmatzen sollen. Im Laufe der Zeit verinnerlichen wir so viele Regeln, dass unsere Kinderseele manchmal bis zum Erreichen des Erwachsenenalters verloren geht.
Was gut ist und gerne gesehen wird, lernen Kinder meist nicht durch die Bestätigung der Erwachsenen, sondern einfach dadurch, dass sie für diese Handlungen nicht ermahnt oder bestraft werden. Sie wenden also Vermeidungsstrategien an.
Diese Erwachsenen haben genau das auch einmal gelernt, als in ihrer Brust noch das wilde Kinderherz Purzelbäume schlug.
Natürlich gibt es Ausnahmen!
Natürlich gibt es sie, die Menschen, die den kleinen Wesen sagen, wie wundervoll sie sind. Sie lassen das Kind wertungsfrei aufwachsen und unterstützen es auf ihrem Weg, indem sie ihm Halt und Liebe schenken. Dem Kind wird gezeigt, dass es ein wundervolles Wesen ist. Diese Achtung vor dem Kind ist ein Samen der Liebe, welcher in den unbekümmerten Herzen der Kinder gedeiht, so dass kräftige Triebe sprießen werden und mit der Zeit ein stark verwurzelter Baum der Selbstliebe wächst.
Nicht, dass es an dieser Stelle zu Missverständnissen kommt: Fast alle Eltern lieben ihre Kinder. Sie möchten sie schützen und behüten. Einige gehen dabei den Weg, den sie selbst gelernt haben und bringen den Kindern bei, was richtig und was falsch ist. Andere gehen den Weg der bedingungslosen Liebe und geben den Kindern vor allem Selbstvertrauen mit auf den Weg.
Selbstliebe ist kein Egoismus
Selbstliebe schenkt uns eine enorme innere Kraft und Stärke, die wir auch in die Außenwelt ausstrahlen. Sie liegt wie ein magischer Zauber über uns. In der Liebe zu uns selbst steckt eine Urkraft des Vertrauens auf das Leben. Eine spürbare Energie, wie ein inneres Leuchten. Lieben wir uns selbst, so stecken wir voller Lebensfreude.
Menschen, die nie gelernt haben, sich selbst als wertvoll anzusehen, so dass sie sich selbst von ganzem Herzen uneingeschränkt lieben können, sehen dieses Leuchten, diese Power und Energie, aber es dringt selten in ihre Herzen vor. So geschieht es leider, dass diese Liebe mit Egoismus verwechselt wird.
Selbstliebe ist die Wurzel zur Nächstenliebe
Wer sich selbst nicht auf die rechte Art liebt, kann auch andere nicht lieben. Denn die rechte Liebe zu sich ist auch das natürliche Gutsein zu anderen. Selbstliebe ist also nicht Ichsucht, sondern Gutsein.
-Musil-
Ich nehme mich bedingungslos an und akzeptiere mich absolut wertungsfrei, denn ich liebe mich selbst.
In der Liebe zu sich selbst ist der Liebende bereit, alles anzunehmen, was das Leben an Erfahrungen bietet. Es ist eine schützende, achtsame, liebevolle Haltung sich selbst gegenüber. In der Selbstliebe gibt es keinen Unterschied zwischen gut und böse, richtig und falsch. Diese Attribute existieren in einer bedingungslosen Liebe nicht. Es spielt keine Rolle in welcher Verfassung wir uns befinden, ob wir voller Schmerz oder voller Freude sind. Wir lieben, was wir sind.
Selbstliebe und das gilt es wirklich zu verstehen, ist kein Wischi-Waschi-Glitzer-Tape, das wir auf unser Leben heften und alles ist nur noch wunderbar.
In Selbstliebe leben heißt, sich vollkommen mit all seinen Facetten und Eigenarten zu akzeptieren. Das bedeutet nicht, dass sich selbst liebende Menschen frei von „Fehlern“ sind. Sie fühlen die Liebe trotz eventueller Unzulänglichkeiten. Sie hüllen sich in Liebe und können sich selbst vergeben, egal welchen Weg sie gerade gehen. „Fehler“ sind erlaubt. Es ist vollkommen in Ordnung, dass Menschen mitunter Um- und auch Irrwege laufen. So häuft sich der wundervolle Schatz an Lebens-Erfahrung.
Sieh dich selbst als ein liebender, guter Freund.
Sei dir dein eigener Vater, deine eigene Mutter.
Gehe fürsorglich, achtsam und liebevoll mit dir um.
Fülle dich mit Liebe, immer und jederzeit.
Diese Liebe ist der Samen für die Liebe nach Außen.
Nächstenliebe ohne Selbstliebe ist wie ein Baum ohne Wurzeln
Versuche ich Liebe zu schenken, ohne innere Liebe zu empfinden, so schöpfe ich aus leeren Quellen. Ich gebe aus einem See ohne Wasser zu trinken. Das hilft weder mir, noch dem Durstenden.
Der Wunsch zu lieben ist da und verliert sich nicht selten in einer emotionalen Erschöpfung. Gedanken wie „Immer helfe ich nur Anderen, wer hilft denn einmal mir!“ oder „Ich schaff das einfach nicht mehr, ich bin mit meinen Kräften am Ende.“ sind keine Seltenheit. Ein ausgebrannter Mensch mit stark ausgeprägtem Helfersyndrom, einem keimenden Burnout oder einer schlummernden Melancholie versteht die Welt nicht mehr und verliert sich nur allzu schnell selbst auf der Suche nach einem gesunden Maß an Liebe.
Das Fundament jeder Seele benötigt die Achtung vor sich selbst, Selbstvertrauen und Selbstliebe. Sind diese Grundbausteine vorhanden, so wird der eigene Selbstwert steigen. Das ist die notwendige Basis des eigenen Selbstwertgefühls. In der Liebe zu uns selbst erkennen wir unsere Stärken und unsere Schwächen, wissen wir um unsere Grenzen.
Ich bin die wichtigste Person in meinem Leben.
Geht es mir gut, so habe ich genug Kraft und Liebe für Andere.
Der Prinz auf dem weißen Pferd
Träumst du noch immer von einem Prinzen auf dem weißen Pferd?
Ist die Liebe ein ewiger Tanz durch kunterbunte Seifenblasen?
Hast du die Szenen im Kopf, in denen sich liebende Paare lachend einen Abhang hinunter kullern lassen, sich gegenseitig die Erdbeeren in den Mund stecken oder zur Mitternachtszeit auf einer vom Mond erhellten Brücke einen Walzer tanzen?
So ungefähr ist das doch mit der Liebe zu einem Partner oder nicht? So zeigen es uns die Spielfilme und Liebesromane.
Diese Art der Liebe, welche uns über mediale Kanäle oftmals vermittelt wird, ist ein schillernd bunter Schein aus Lug und Trug.
Die Liebe zu einem Partner jedoch ist mehr als ein Dreigroschenroman. Sie ist wesentlich erfüllender als die lebenslange Sucht nach Schmetterlingen im Bauch.
Liebe ist leise
Am Anfang, wenn die Liebe nur eine Ahnung ist, kribbelt das Blut vor Aufregung. Ja, in der Zeit, wo die Verliebtheit in jede Pore dringt, da ist es so! Da kribbelt es im Magen, als würden ganze Armeen von Ameisen hindurch wandern. Da ist die Welt plötzlich in ein buntes Farbenmeer getaucht. Der Regen ein Fest, die Kälte ein Witz, die Sonne strahlt überall und dein Herz, es hüpft und lacht vor Freude.
Mit ein klein wenig Glück wird aus diesem zauberhaften Chaos der Verliebtheit eine Liebe für eine lange Zeit, mitunter für ein ganzes Leben. Diese Liebe erinnert sich hin und wieder an die Zeit, als sie noch eine kleine, zarte Verliebtheit war. Ein ganz bestimmtes Lächeln am Frühstückstisch lässt die Schmetterlinge für einen Moment wieder tanzen. Der Song, der gerade im Radio läuft und welcher an damals erinnert, als der erste Kuss noch unbeholfen die Lippen des Anderen traf, wandelt einen tristen Regentag für einen Augenblick in goldenes Licht. Diese Momente sind winzig kleine Juwelen in der riesigen Schatztruhe der Liebe, aber sie sind nicht der wertvollste Inhalt.
In der wahren, achtsamen Liebe zwischen zwei Menschen sind beide einander gleichgestellt. Es gibt keine Unterschiede. Jeder darf sein, wie er ist und jeder lässt den Anderen in bedingungslosem Vertrauen unverändert in seinem ureigenen Wesen existieren.
Worte der beteuernden Liebe müssen nicht wie glitzernde Bäche durch den Alltag fließen. Es sind die stillen, leisen Blicke des Verstehens jenseits der gesprochenen Sprache, die den Alltag wertvoll machen. Der zärtliche Kuss zur Begrüßung, das liebevolle Umarmen während die Hände noch ellenbogentief im Abwaschbecken stecken oder die fürsorgliche Frage: „Wie war dein Tag?“ am Abend.
All dies wächst auf dem fruchtbaren Boden der Selbstliebe.
Liebe ist Respekt
Respekt äußert sich in der Art, wie wir unsere Worte füreinander wählen. Er zeigt sich im gegenseitigen Umgang, ob wir die Wünsche des Anderen wahrnehmen. Respekt zeigt sich, wenn wir unser Gegenüber akzeptieren und wir den Anderen ausreden lassen. Handlungen des Anderen müssen wir nicht verstehen, wenn es uns jedoch gelingt, nicht zu werten, dann zeigt sich auch dort unser Respekt.
Liebe ist Ehrlichkeit
Einander nach Jahren noch in die Augen blicken können ohne das schlechte Gewissen einer Lüge im Nacken ist Gold wert. Das Wissen, dass was auch immer gesagt wird, auf ein weiches Bett gegenseitigen Vertrauens fällt, ist unbezahlbar.
Liebe ist Reden
Lassen wir den Partner am eigenen Leben teilhaben. Gefühle, egal ob positiv oder negativ, dürfen nicht in die Tiefen des eigenen Geistes verdrängt werden, sondern sollen sich offenbaren. Haben wir keine Angst vor falschen Worten.
Liebe ist Zuhören
Die Liebe ist kein Monolog. Sie ist Verständigung, ein sich Mitteilen und ein Zuhören. Ein offenes Ohr haben, wahrhaftig anwesend sein, wenn Worte an unsere Ohren dringen und sie nicht einfach nur zu registrieren, wie das lästige Summen einer Mücke im Schlaf.
Liebe ist ein „machen lassen“
Jeder Mensch hat Träume und Wünsche und auch einen eigenen Seelenplan. Lass dein Gegenüber eigene Träume und Wünsche haben. Du musst sie nicht teilen, aber du darfst sie unterstützen. Steht euch nicht in euren Träumen im Weg. Achtet die Bedürfnisse des Anderen als wären es die eigenen.
Liebe ist Zärtlichkeit
Das Tragen der Einkaufstaschen, das Reichen des Taschentuches, wenn der Film zu Tränen rührt, sind Gesten der Liebe. Die Zärtlichkeit der Hände, welche sich beim spazieren gehen finden und einander halten. Der leise Kuss auf die Stirn, das zarte Streicheln der Wange ist Liebe. Seid achtsam und zärtlich miteinander in euren Gesten und Worten.
Liebe ist Sicherheit
Dieses tiefe, wohlig warme Gefühl, wenn sich die Wohnungstür öffnet. Sich in die Arme des Anderen fallen zu lassen, den Kopf an die Schulter zu legen und zu spüren, dass alles gut ist. Der beruhigende Atem in der Nacht, der dir sagt „Ich bin hier, bei dir. An deiner Seite schlafe ich, mit dir erwache ich am Morgen.“
Am Morgen, wenn die Augen noch halb geschlossen sind, spüren wir den anderen Menschen an unserer Seite und fühlen eine tiefe, innere Zufriedenheit. Gemeinsam atmen wir die Wärme der Gegenwart und hüllen uns in den Mantel der Geborgenheit.
Wir starten mit der Wärme und der Energie zweier Herzen in den Tag.
Seien wir achtsam mit dieser Liebe, denn sie ist ein unbezahlbares Geschenk.