Wann immer ich Sigillen erwähne, ertönt alsbald ein: „Das ist doch schwarze Magie!“ Es wird höchste Zeit, die Magie der Sigillen vorzustellen und mit einigen Vorurteilen aufzuräumen.
Ehe ich jedoch näher auf das Thema eingehen werde, sei mir ein kleiner Exkurs gestattet:
Das Wesen der Sigillenmagie
Die Magie der Sigillen ist sehr alt. In vielen mittelalterlichen Grimoires¹ finden sich Sigillen. Eine Sigil ist eine Glyphe, also eine visuelle Darstellung, eine Art Symbol. Wie wir eine solche Glyphe erhalten, dazu kommen wir später. An dieser Stelle sei nur festgehalten, dass eine Sigil erstmal nichts weiter ist als ein graphisch dargestelltes Symbol.
In den bereits erwähnten Grimoires aus dem Mittelalter wurden mit Sigillen oft die Namen verschiedener Geister festgehalten. Eine Sigil zu zeichnen ist eine sehr kunstvolle Form der Magie, welcher auch oftmals ein hoher ästhetischer Wert beigemessen wird. In der alten Magie der Sigillen ging es darum, tief in unsere Seele zu blicken. Mit Sigillen konnten eine Bitte, eine Forderung oder ein Begehren der MagierInnen aus dem tiefsten Inneren heraus manifestiert werden.
Dies ist ein sehr wichtiger Punkt, denn die moderne Sigillen-Magie geht sehr oberflächlich mit der hohen Kunst der Sigillen um. Heutzutage ist eine Sigil schnell mal geschrieben und muss oft genug für jeden noch so belanglosen Wunsch herhalten. Das ist nicht nur eine Missachtung der alten Magie, sondern führt auch nur sehr selten zum gewünschten Ergebnis.
Ähnlich wie bei den Runen lassen sich Sigillen nämlich nicht bestechen und auch nicht einfach so benutzen. Die Sigil und unser tiefes Selbst sind untrennbar miteinander verbunden. Die Anwendung von Sigillen-Magie sollte genutzt werden, um Zustände zu ändern, die tief aus unserem Selbst heraus einer Veränderung bedürfen. Natürlich können wir sie auch anwenden, um Schaden abzuwenden, Wünsche zu äußern oder gar jemanden zu verfluchen. All dies jedoch wird nicht wirken, wenn wir es nicht im tiefsten Punkt unserer Seele wirklich wollen, denn genau dieser Wille ist es, der sich in der Sigil manifestieren wird. Du merkst schon, wir sollten achtsam mit der Magie der Sigillen arbeiten und sie nicht nur anwenden, weil sie gerade so hip und chic ist.
So erstellst du Sigillen und übergibst sie der Magie
In der modernen Form der Sigillen-Magie² sollen MagierInnen ihre eigenen Sigillen herstellen und nutzen. Es haben sich inzwischen viele Wege entwickelt, um zu einer Sigil zu gelangen. Das Grundprinzip möchte ich euch in diesem Artikel vorstellen.
Finde dein Begehren (Was soll die Sigil ausdrücken)
Eine Sigil kannst du immer dann nutzen, wenn du eine Veränderung wünschst. Dein Leben verläuft hoffentlich meist in ganz normalen Bahnen. Es geht dir gut und du bist zufrieden. Ändert sich dieser Zustand und du spürst, wie etwas an deinem inneren Frieden zerrt, dich unglücklich werden lässt oder dich in irgendeiner anderen Form aus der Ruhe bringt, dann ist es Zeit, sich diesem Aspekt mit großer Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Taucht also ein Problem auf, das nach einer Veränderung ruft, dann gehe in dich. Suche in Zwiegesprächen mit dir selbst und in tief gehenden Meditationen die Veränderung, welche sich dein innerstes Wesen wünscht. So findest du dein Begehren, deinen Wunsch, den wir nun in eine Sigil umwandeln werden.
Formuliere deinen Wunsch
Jetzt ist es Zeit, den Wunsch in einem ganz einfachen und klaren Satz zu formulieren. Wie schon bei den Affirmationen kommt es auch hier auf eine präzise und eindeutige Formulierung ohne Negationen an.
Beispiele:
Ich bin gesund. – NICHT: Ich bin nicht krank.
Ich bin glücklich. – NICHT: Ich habe keine Sorgen.
Ich liebe – NICHT: Ich wünsche mir Liebe.
- Also, nutze keine Negationen wie „bin nicht krank“!
- Formuliere positiv!
Vermeide Wörter wie Krankheit, Sorgen, Leiden und so weiter, denn sie alle sind negativ besetzt. Spreche lieber von Heilung, Liebe, Glück.
Was passiert, wenn du jemandem sagst: „Achtung stolpere nicht!“ Nun ja in den meisten Fällen wird er stolpern, da unser Gehirn nicht in der Lage ist, dieses Kommando auf die Schnelle richtig zu interpretieren, bei der Person kommt nur an: „Achtung stolpere!“ und schon ist es passiert. Die ursprüngliche Aussage: Achtung stolpere nicht! braucht ein Weilchen ehe sie in der Tiefe unseres Bewusstseins angekommen ist und greift daher auf die naheliegendste Form zurück. Achte also bei deiner Formulierung darauf, dass sie einfach und unmissverständlich ist.
Wandle den Wunsch in eine Sigil um
Jetzt müssen wir unseren Wunsch in eine Sigil umwandeln. Ich nehme einmal folgendes Beispiel:
Ich bin vollkommen geheilt.
Die Aussage ist klar, sie ist umfassend und trotzdem nicht zu lang und sie ist positiv formuliert. Um eine Sigil zu erhalten, werden aus diesem Satz alle doppelten Buchstaben entfernt, so dass jeder Buchstabe nur einmal vorkommt.
aus dem Satz
Ich bin vollkommen geheilt.
wird
I c h b i n v o l l k o m m e n g e he i l t.
Es bleibt also übrig:
Ich bn volkme gt
Aus diesem Rest des Satzes wird die Sigil gebildet. Wir verwenden diese Buchstaben, um daraus die Glyphe zu formen. Du nimmst nun jeden einzelnen Buchstaben und setzt ihn mit den anderen Buchstaben so zusammen, dass am Ende wirklich nicht mehr entziffert werden kann, welcher Satz geschrieben wurde.
So könnte deine Sigille am Ende aussehen.
Du kannst es schöner und verschnörkelter gestalten.
Hier ging es erstmal darum, zu sehen, wie das Prinzip funktioniert.
Lege die Sigil weg und vergiss ihre Bedeutung
Dies ist eines der schwierigsten Punkte bei der Arbeit mit der Sigillen-Magie. Zur Einführung sagte ich, dass eine Sigil aus unserem tiefen Selbst entsteht und an dieses tiefe Selbst geben wir sie zurück. Wir vertrauen unserem Selbst, dass es sich in Perfektion um unseren Wunsch kümmern wird, aber dazu ist ein weiterer Schritt notwendig.
Unser Ego müssen wir ausschalten. Wir kennen unser Ego, es ist dieser Geselle, der alles besser weiß und ständig in unserem Leben herumpfuscht. Das wollen wir nicht. Stell dir einmal vor, du gehst zu einem Meisterkoch von dem du nur die allerbesten Kritiken gewohnt bist. Dieser Meisterkoch kann das, was auch unser tiefes Selbst kann – in Perfektion arbeiten. Das Ego ist der vorwitzige Küchenhelfer, welcher der Meinung ist, da müsste nochmal nachgewürzt werden und auch dort könnte eine Kleinigkeit verändert werden. Das wollen wir nicht – Wir wollen den Meister! Also müssen wir unser Ego ausschalten.
Das gelingt uns, indem wir vergessen, was die Sigil bedeutet. Solange du also die Bedeutung der Sigil noch kennst, arbeite nicht mit ihr, sondern lege sie wieder weg. Ein guter Weg eine Sigil zu vergessen ist es, gleich mehrere Sigillen zu schreiben, es finden sich gewiss einige Wünsche in dir. Legst du diese alle beiseite und holst sie Tage später wieder hervor, so wirst du hoffentlich vergessen haben, welche Sigil welchem Wunsch entsprach.
Achtung: Dies ist kein Wettbewerb, wer sich am besten die Sigil merken kann. Vertraue der Sigil und somit auch deinem inneren Selbst und vergiss, was du geschrieben hast, denn genau dann wird der Meister in dir selbst sein volles Potenzial entfalten.
Erwecke die Magie der Sigillen zum Leben
Das ist der intesivste Schritt von allen. Nehmen wir an, du hast die Bedeutung der Sigil vergessen, dann wird es langsam Zeit, mit ihr zu arbeiten. Schon den letzten Punkt lassen viele MagierInnen heute aus. Die Sigil wird geschrieben und zack verbrannt. Nun ja, das ist verlockend, aber von Magie weit entfernt. Wir arbeiten hier mit der Magie, wir geben ihr Raum und respektieren sie. Schnelles Handeln bringt nur selten schnelle Erfolge.
Bist du bereit, dich ganz auf das Wesen der Sigillen-Magie einzulassen, dann wird es Zeit den richtigen Zeitpunkt für die Übermittlung deiner Sigille zu finden. Du kannst prinzipiell jeden Moment nutzen, der sich richtig für dich anfühlt. Dein Geist sollte ganz klar und wach sein. Vor allem sollte er bereit sein zu empfangen. Wer magisch arbeitet ist meistens in der Lage, seinen Geist selbst zu hinterfragen, so kannst du an dieser Stelle einfach in dich gehen und fragen ob der Zeitpunkt richtig ist und der Geist bereit ist, die Sigil zu empfangen. Passt alles, dann steht der Metamorphose deiner Sigil in einen manifestierten Wunsch nichts mehr im Wege.
Es wird nun Zeit, sich mit der Sigil zu verbinden
Nimm das Papier (oder auf was immer du die Sigil gezeichnet hast) zur Hand oder lege sie vor dir ab. Gehe mit klarem Verstand und Blick die Linien der Sigil ab. Verbinde dich mit jedem einzelnen Strich und präge dir ihre Form gut ein. Konzentriere dich auf die Sigil bis du das Gefühl hast, dass sie ein Teil von dir wird.
Du kannst dann gerne Musik zur Hilfe nehmen, das stärkt die Bindung. Du könntest trommeln oder die Rassel nutzen oder einfach nur eine Melodie ohne Worte singen. Das kann zu einer wahren Ekstase führen. Vielleicht hast du das Bedürfnis, die Linien der Sigil zu tanzen, dann tue dies einfach. Lasse dich vollkommen fallen und verbinde dich mit der Sigil bis du spürst, dass ihr eine unzertrennbare Einheit bildet.
Dieser Prozess kann sich ein wenig hinziehen, du kannst die Musik jederzeit stoppen und dich erneut auf die Sigil konzentrieren. Werde nur nicht ungeduldig und warte auf die Verbindung, du wirst deutlich wissen wann es soweit ist.
Ist der Punkt erreicht, wo eine tiefere Verbindung nicht mehr möglich ist, so kannst du die Arbeit beenden und die Sigil vernichten. Wirf sie weg oder verbrenne sie. Fühlst du dich gut dabei, dann kannst du sie auch in der Erde vergraben. Das spielt keine Rolle mehr, ihre Arbeit ist bereits getan.
Übe dich in Geduld
Es gibt noch mehr Möglichkeiten, mit der Sigillen-Magie zu arbeiten, aber an dieser Stelle ist erstmal alles gesagt.
Deine Aufgabe ist es jetzt, den Dingen seinen Lauf zu lassen. Warte nicht ungeduldig darauf, dass die Wünsche sich manifestieren. Sie werden es tun oder auch nicht. So ist das in der Magie. Entspricht der Wunsch wirklich deinem inneren Wesen und ist er tief aus dir selbst heraus entstanden, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er sich über kurz oder lang erfüllt. Ist es eher ein Wunsch deines Egos gewesen, so wird die Sigil vermutlich erstmal die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Wunsch überhaupt erfüllt werden kann.
In manchen Fällen erfüllen sich Wünsche auch gar nicht. Sei deswegen nicht traurig, nimm es so wie es kommt, denn alles hat seine Berechtigung, selbst wenn wir sie selbst nicht erfassen können.
¹) selbstgeschriebenes Zauberbuch, heute auch „Buch der Schatten“ genannt, Arbeitsbuch voll mit magischem Wissen
²) unter anderem nach Austin Osman Spare: Gesammelte Werke 1905-1927, ISBN 978-3-90113422-7
Quellen:
Jan Fries, in: Helrunar – Ein Handbuch der Runenmagie, ©1997 EDITION ANANAEL, Verlag M. Sperlhofer, 4. Auflage 2009
Jan Fries, in: Helrunar – Ein Handbuch des Freistilschamanismus, ©2011 EDITION ANANAEL, Verlag M. Sperlhofer, 2. Auflage 2011